Lias' Sicht
Langsam habe ich wirklich genug von der Klinik. Zwar bin ich auch nicht begeistert, dass ich dann wieder zurück ins Heim muss, aber die Aussicht, dass ich vielleicht bald zu Paul kann, macht die Sache schon etwas erträglicher.
Gestern habe ich noch Besuch von Tom und Cem bekommen, die ein paar Spiele mit mir gespielt haben. Es ist komisch, dass plötzlich so viel Besuch bei mir eintrifft, aber ich bin auch mächtig froh darüber, denn dann ist es schon weniger langweilig. Gegen Abend war auch Paul noch da. Irgendwas hat nicht mit ihm gestimmt, sein Dauergrinsen war fast schon gruselig. Er hat mir noch ein paar Geschichten von Einsätzen erzählt und war auch nochmal mit mir draußen. Als er dann wieder nach Hause gegangen ist, wäre ich am liebsten mit ihm gegangen, aber darauf muss ich noch ein bisschen warten.
Heute habe ich das Legogebilde nochmal fast komplett auseinander gebaut und bis jetzt, kurz nach dem Mittagessen, wieder zusammengesetzt. Ich nehme mir vor, mein Werk im Heim ins Regal zu stellen, damit ich es jederzeit anschauen kann. Das erinnert mich dann immer, dass ich nicht mehr alleine bin, sondern ganz viele Menschen hinter mir stehen habe.
Als es an der Türe klopft, fange ich an, mein Bett frei zu räumen, da ich davon ausgehe, dass eine Schwester kommt, um meine Werte zu kontrollieren. Doch anstatt einer Frau mit irgendwelchen medizinischen Kram in der Hand, marschieren Paul und Stephan in mein Zimmer. "Hi, Lias! Wow, du warst heute aber fleißig! Hast du den Rest ganz alleine zusammengebaut?", will Stephan wissen und nickt mir anerkennend zu. "Nein, meine zwanzig Freunde hier im Raum haben mir dabei geholfen!", antworte ich grinsend und zeige mit meinen Händen in dem leeren Raum herum.
Herr Sindera dreht sich zu Paul und zieht die Augenbrauen nach oben: "Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe immer wieder den Eindruck, dass ich dich in Miniformat vor mir habe!" "Tja. Wer blöde Fragen stellt, bekommt auch blöde Antworten, stimmts, Kurzer?" Paul lacht seinem Freund frech ins Gesicht und stellt eine Sporttasche auf dem Bett ab. Ich beäuge die Tasche und anschließend meinen Onkel, der damit beginnt, Klamotten aus meinem Schrank zu holen."Was machst du da?" "Wir packen deinen Kram zusammen. Du darfst heute endlich die Klinik verlassen!" "Echt jetzt? Wie cool!" Ich springe sofort aus meinem Bett und bekomme von Stephan eine komisch glänzende, schwarze Hose und einen Pullover, die er aus der Tasche herauszieht, in die Hand gedrückt: "Bitte anziehen!" "Das ist nicht so ganz mein Stil", sage ich Kleinlaut und ernte darauf ein Lachen von Seiten Stephan: "Die sollst du auch nicht für deine Freizeit anziehen, sondern damit du geschützt bist!" Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Als ich den Polizisten näher betrachte,fällt mir auf, dass er auch so eine Hose trägt und ich frage mich, was er mit mir vorhat. "Du brauchst keine Angst zu haben. Vertraue mir einfach, du wirst begeistert sein!", versichert mir der Schwarzhaarige und ich vertraue einfach mal auf sein Wort, da Paul anscheinend auch davon weiß und ganz entspannt bleibt.
Kaum bin ich angezogen, kniet sich Stephan vor mich und überprüft den Sitz meiner Hose. "Ohje, die rutscht beim ersten Schritt ungebremst nach unten... Warte mal", sagt er und stellt sich wieder auf die Beine, um seinen Gürtel aus den Laschen seiner Hose zu ziehen. Anschließend kniet er sich wieder vor mich und fädelt den Gürtel bei mir ein. "Für das nächste Mal müssen wir dir einen eigenen Gürtel besorgen. Mit dem hier können wir dich einmal komplett einwickeln. Hahahaha. Aber egal, Hauptsache du verlierst deine Hose nicht." Als ich fertig eingeschnürt bin, ist Paul auch mit dem Packen fertig: "Dann können wir ja los, oder?"
Etwas unsicher, da ich nicht weiß was mich erwartet, nicke ich ihm zu und verlasse darauf mit den Männern die Klinik."Wir treffen uns beim Heim. Gut festhalten, Lias!" Pauls Blick ist ernst und auch als er Stephan anschaut, verändert sich seine Miene nicht. "Keine Sorge, Paulchen. Wir zwei machen das schon. Ich passe auf ihn auf!"
"Gut. Dann viel Spaß. Bis nachher", verabschiedet sich mein Onkel und läuft mit der Tasche zu seinem Auto. Ich verstehe immer noch nicht, was hier los ist. Stephan legt einen Arm um meine Schultern und zieht mich in die andere Richtung mit sich mit, bis wir vor einem Motorradfahrer zum Stehen kommen. Als dieser seinen Helm abnimmt, erkenne ich Robin. "Na, kleiner? Bereit für eine kleine Spritztour?" Erst jetzt dämmert es mir, was hier vor sich geht. "Darf ich heute auf einem Motorrad mitfahren?", frage ich aufgeregt, was Stephan mit einem lachenden "Ja" beantwortet. Auf einen Schlag überkommt mich die Nervosität und obwohl ich mir das immer gewünscht habe, verspüre ich plötzlich etwas Angst. "Keine Sorge, Lias. Wir fahren erst ein paar Runden auf dem Parkplatz, damit du ein klein wenig Gefühl dafür bekommst. Robin wird nachher auf der Straße hinter uns fahren und dafür sorgen, dass uns niemand zu dicht auffährt. Das einzige, was du zu tun hast, ist, dich festzuhalten, locker zu bleiben und die Fahrt zu genießen. Ich werde auch nicht zu schnell fahren. Bekommen wir das hin?", fragt Stephan mit einem Lächeln auf den Lippen. Völlig überfordert nicke ich ihm zu und werde im Sekundentakt von Unsicherheit und Vorfreude durchflutet.
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Lias will glücklich sein
FanfictionAls wäre das Leben mit einer täglich quälenden Erkrankung nicht schon schwer genug, muss Lias sich von seinem besten Freund Anton verabschieden. Die beiden Heimkinder hatten so viele Dinge zusammen geplant, die Lias helfen sollten, im täglichen Kamp...