Es ist jetzt ein halbes Jahr vergangen, seitdem Lias urplötzlich im Revier aufgetaucht ist. Lias und ich haben unseren Alltag weitestgehend im Griff und harmonieren in jeder Hinsicht mit dem Hetkampgeschwader.
Das Gericht hat mir vor zwei Tagen das Sorgerecht für meinen Neffen zugesprochen, was wir gestern auf dem versprochenen Rummeltag mit einer ordentlichen Portion Süßigkeiten gefeiert haben. Durch den Zuckerschock sind die Jungs abgegangen wie zwei frisch aufgeladene Duracellhasen und dementsprechend lange wurde auch die Nacht. Glücklicherweise haben mir meine Kollegen beim bändigen geholfen, denn ohne ihre Unterstützung wäre ich wohl mit wehenden Fahnen unter gegangen.
Meine Kollegen geben mir immerzu Rückhalt. Vor allem Stephan und Tom sind noch unentbehrlicher geworden. Die beiden haben Lias und Anton in ihr Herz geschlossen und übernehmen auch gerne mal die Betreuung und andere Termine mit ihnen, wenn es bei mir aus beruflichen Gründen knapp in der Zeit wird, oder sich die Schichten von den Hetkamps und mir überschneiden. Herrn Mayer muss ich aber ab und zu bremsen, denn er nutzt wirklich jede kleine Gelegenheit sich die Jungs zu schnappen und mit ihnen etwas zu unternehmen. Natürlich ist das schön, aber ich möchte dann doch auch noch etwas von meinem Neffen haben.
Wir sind wirklich alle zu einem unschlagbaren Team herangewachsen, wobei uns Herr Sindera in letzter Zeit etwas Sorgen bereitet. Er ist zwar jederzeit zur Stelle, wenn Lias ihn braucht, doch ansonsten macht er sich komplett rar. Zuhause ist er kaum noch anzutreffen, doch wo er sich anstattdessen aufhält, wissen wir nicht. Carmen lässt auch nichts mehr von sich hören, wodurch sich eine gewisse Sorge in unser aller Köpfe eingeschlichen hat. Lias hat schon des Öfteren versucht Stephan auszuquetschen, doch der geht überhaupt nicht darauf ein. Alex hat uns beim letzten Besuch gebeten, stets am Ball zu bleiben, da er vermutet, dass Herr Sindera vielleicht in Depressionen verfallen sein könnte oder ihn irgendetwas anderes schwerwiegendes belastet. Deshalb haben wir uns heute vorgenommen Stephan zu überrumpeln und ihn festzunageln. Wir lassen unseren Kameraden sicherlich nicht lautlos untergehen.
Heute sind Lias und Anton mit dem Bus von der Schule aufs Revier gefahren, da sie eine Stunde früher Schulschluss hatten. Ich habe die beiden in den Aufenthaltsraum gesetzt, damit sie ihre Hausaufgaben erledigen können und niemandem in die Quere kommen. Klaus hat zwar nichts dagegen, aber wenn er seine gewissen Launen auslebt, müssen sich die beiden nicht in direkter Nähe aufhalten.
Als ich mit Marc von einem Einsatz zurückkehre und wir nach den Jungs schauen wollen, fällt mir fast die Kinnlade zu Boden. Klaus sitzt, den Rücken zu uns gewandt, mit Lias und Anton an einem Tisch und sie spielen zusammen Mensch ärgere dich nicht. "Du brauchst gar nicht so frech zu grinsen. Ich weiß ganz genau, dass du mich übers Ohr gehauen hast, du Schlitzohr!" Lias verzieht empört sein Gesicht: "Das stimmt gar nicht. Ich bin einfach nur besser als du!" "Tzzz. Jetzt halt den Schnabel und nimm einen Zug, damit du nicht wieder so gluckerst!", sagt Klaus in ernster, aber sehr ruhiger Tonlage. Mein Neffe greift neben sich auf den Tisch und hält sich Sekunden später sein mobiles Inhaliergerät an den Mund. Als er uns kurz darauf wahrnimmt fängt er an breit zu grinsen. "Du sollst keinen Grimassenwettbewerb starten sondern das Zeug in deine Lunge lassen!" Der Kurze verdreht belustigt die Augen, kann mittlerweile mit Klaus' ruppiger Art sehr gut umgehen.
Anton dreht in Klaus' unachtsamen Moment seinen Würfel um und fängt an zu jubeln: "Jibbi. Ich habe gewonnen!" Unser Chef überprüft die Augenzahl des Würfels und schüttelt dann den Kopf: "Ne, ne. Das war gerade noch eine vier und keine fünf!" Hetkamp junior verzieht besorgt sein Gesicht: "Ich sage es ja nur ungern Klaus, aber womöglich verlässt dich langsam deine Sehkraft." "Mich verlässt bald was ganz anderes...", grummelt unser Chef vor sich hin, wuschelt dann aber beiden Jungs durch die Haare.
Marc und ich verkrümeln uns schmunzelnd in unser Büro, um die Berichte noch schnell zu schreiben und unserem Chef die Freude dieser Abwechslung des Arbeitsalltags zu gönnen.

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Lias will glücklich sein
Hayran KurguAls wäre das Leben mit einer täglich quälenden Erkrankung nicht schon schwer genug, muss Lias sich von seinem besten Freund Anton verabschieden. Die beiden Heimkinder hatten so viele Dinge zusammen geplant, die Lias helfen sollten, im täglichen Kamp...