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Pauls Sicht

Zugegebenermaßen bin ich ganz schön nervös. Die Tatsache, dass ich heute mit Lias ganz alleine unterwegs bin, verschafft mir mehr Respekt als gedacht. Eigentlich wollte ich noch ein paar Treffen im Heim ablaufen lassen, damit ich im Umgang mit den Tabletten und dem Inhalieren etwas sicherer bin, aber bei dem Gedanken an das jährliche Sommerfest, das fast einem riesengroßen Rummel gleicht, ist mir sofort Lias' Bucket-List in den Sinn gekommen. An alle Punkte kann ich mich nicht mehr erinnern, aber dass er gerne auf einen Rummel gehen möchte, ist mir im Gedächtnis geblieben. Obwohl er bestimmt an die richtigen Festivitäten gedacht hat, hoffe ich, dass er sich trotzdem freut.

Meine Kollegen haben mich ebenfalls bestärkt meinen Neffen auf das Fest mitzubringen und mich letztendlich überzeugt, dass nicht viel schief gehen kann, da ebenfalls Rettungskräfte zur allgemeinen Sicherheit anwesend sind. So, wie auf jedem Fest. Das nimmt mir zumindest den Druck der Angst, dass ich Lias in einer Notfallsituation nicht richtig helfen kann.

Meine größte Sorge jedoch ist, dass der Kleine sich bei mir nicht wohl fühlt oder er sich was ganz anderes unter unserem Umgang vorstellt. Diese Gedanken möchten sich einfach nicht auslöschen lassen, obwohl Stephan, Tom und Marc mir schon meine Ohren blutig geredet und versucht haben, mir diese Gedanken auszutreiben.

Bevor ich an der Türe des Mitarbeiterzimmers klopfe, atme ich nochmals tief durch und versuche mein selbstbewusstes ich hervorzukramen. Als meine Fingerknöchel gerade das Holz berühren wollen, öffnet sich die Türe schon von alleine. "Oh, Paul. Hallo. Ich wollte gerade schauen, ob du schon angekommen bist!" "Hi, Jonathan. Ja, hier bin ich!" Ich merke selbst, dass meine Mundwinkel leicht zittern und verdrehe innerlich die Augen über mich selbst. Keine Angst vor irgendwelche Verbrechern haben, aber sich fast in die Hose machen, wenn man einen Tag mit seinem zehnjährigen Neffen verbringen möchte. "Komm doch rein!" Der Betreuer tritt einen Schritt zurück und gewährt mir somit Einlass.

Wir beide setzen uns auf ein großes gemütliches Sofa, das in der rechten Ecke des Zimmers steht. Auf dem dazugehörigen Tischchen steht schon die Tablettenbox und der mobile Inhalator bereit. "Bisschen aufgeregt?" "Bisschen ist untertrieben. Hätte ich lieber ein paar normale Treffen hier im Heim stattfinden lassen sollen, bevor ich mit ihm zu so einem großen Fest gehe? Ich habe etwas Bedenken, dass er sich unsicher fühlt, weil wir uns noch nicht gut genug kennen...", gebe ich meine Gedanken preis, da der Betreuer bisher immer sehr verständnisvoll war und ich nicht damit rechne, dass er mich in irgendeiner Weise verurteilt. "Das ist Ansichtssache. Meiner Meinung nach nimmt solch eine Unternehmung eher den Druck. Falls ihr mal nicht wisst, was ihr miteinander reden sollt, tritt keine peinliche Stille ein, denn der Trouble lenkt gut davon ab. Ich will gleich ehrlich sein: Lias ist heute nicht besonders gut drauf, er.. " "Möchte er doch nicht mit? Ich will ihn zu nichts zwingen!", werfe ich ein, denn Lias zu dem Ausflug mitzunehmen, nur weil er sich gezwungen fühlt, liegt nicht in meiner Absicht. "Nein, nein. So war das nicht gemeint. Lias hat wieder stark mit seinem Husten zu kämpfen und aufgrund seiner Krankheit einen negativen Gedankeninput. Natürlich ist er auch aufgeregt, da er nicht weiß, was ihn erwartet. Wenn er bisher mal, außer zur Schule, aus dem Heim rausgekommen ist, waren immer Carlos oder ich dabei. Das ist eine völlig neue Situation und wir müssen immer noch bedenken, dass er erst zehn Jahre alt ist. Er ist ein Kind und voller Emotionen geladen. Er weiß manchmal nicht, wie er damit umgehen soll."

Da haben wir schon etwas gemeinsam.

Ich nicke dem Braunhaarigen zu, der sofort breit grinst: "Mach dir keinen allzu großen Kopf. Lias ist wirklich umgänglich. Du musst keine großen oder extravaganten Geschütze auffahren. Sei einfach du selbst und verhalte dich, wie sonst auch immer!" "Ich werde mein Bestes geben!", seufze ich vor mich hin, da ich ganz genau weiß, dass ich nicht so wie immer sein werde. Dafür bin ich viel zu aufgeregt. "Ich gehe von nichts anderem aus! Also gut. Dann zeige ich dir mal, wie das Geschoss hier funktioniert. Im Grunde ist es gar nicht schwer.. " In den nächsten zehn Minuten klärt mich Jonathan über alles Notwendige auf und lässt mich alles nochmals selbst wiederholen, damit ich alles verinnerlichen kann. Tatsächlich ist das kein großes Hexenwerk und gar nicht so kompliziert, wie ich mir das vorgestellt habe.

Lias will glücklich seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt