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Völlig nervös laufe ich von Raum zu Raum und kontrolliere nochmals, ob alles sauber und aufgeräumt ist. Eigentlich hätte ich nach meiner Nachtschicht eine Runde schlafen sollen, aber ich hatte einfach zu viel im Kopf und hätte eh kein Auge zubekommen. Frau Kunkel hat mir heute morgen eine schlichte Nachricht aufs Handy geschickt, dass sie ihren Besuch auf dreizehn Uhr ansetzen würde, damit wir alles schnell hinter uns haben. Seitdem sitzt mir die Kotze im Hals, die nur darauf wartet, ihren Freigang anzutreten. Ich hoffe, dass ich mich unter Kontrolle halten und meine Nervosität verstecken kann. Zwar haben mir meine Kollegen und auch Klaus nochmals gut zugeredet, aber mir wird es erst besser gehen, wenn ich definitiv grünes Licht bekomme.

Punkt dreizehn Uhr klingelt es an der Haustüre. Auf dem Weg zur Gegensprechanlage sammle ich einen Fussel vom Flurboden ein und stecke ihn schnell in meine Hosentasche, da der Weg in die Küche zum Mülleimer zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Der Knopf mit dem Schlüsselsymbol ist schnell gedrückt, worauf ich im Hausgang auch gleich Schritte vernehme. Bevor ich die Wohnungstüre öffne, wische ich meine Handflächen an meiner Jeans trocken, denn nichts ist unangenehmer, als jemandem eine vor Aufregung feuchte Hand zur Begrüßung entgegen zu strecken.
Sobald ich die Türe geöffnet habe, lächelt mir auch schon Frau Kunkel entgegen: "Hallo, Herr Richter. Freut mich, dass es so schnell geklappt hat!" "Hallo. Ja, freut mich ebenfalls. Kommen Sie doch rein!" Ich trete einen Schritt zur Seite, damit die Frau Inspektorin an mir vorbeikommt. Sie bahnt sich selbst ihren Weg ins Wohnzimmer und setzt sich dort auf das Sofa. Aus ihrer Tasche kramt sie einen dicken Stapel Papiere hervor, den sie auf dem kleinen Wohnzimmertisch ablegt.

Oh, Gott....

"Sie sind heute ein bisschen blass. Sie brauchen nicht aufgeregt zu sein. Wie gesagt, das ist ein Teil meiner Pflicht, mir die neue Umgebung anzuschauen." Zuerst nicke ich ihr nur zu, doch dann denke ich, dass das ziemlich unhöflich ist und lasse ein leises "Okay" meinem Mund entfliehen. "Möchten sie einen Kaffee, Wasser oder etwas anderes zu trinken?", biete ich ihr an und überlege selbst, ob ich schnell einen Schluck Schnaps zu mir nehmen sollte, um meine Nerven zu beruhigen. Da das aber wohl keinen guten Eindruck machen würde, wenn ich schon direkt nach Mittag nach Alkohol rieche, verwerfe ich den Gedanken wieder. "Nein, danke. Sehr nett. Setzen Sie sich doch bitte kurz zu mir." Frau Kunkel klopft neben sich auf die Sitzfläche und sortiert nebenher den Blätterstapel vor sich auf dem Tisch. Kaum sitze ich auf meinen vier Buchstaben, werde ich ins Visier genommen: "Bevor wir mit der Wohnung anfangen, möchte ich gerne ein anderes Thema anschneiden. Klau... Herr Wiebel hat mich angerufen und über ein paar Dinge informiert, die nun ans Tageslicht gekommen sind. Ich weiß nicht, ob sie auch schon über die illegalen Medikamententests informiert wurden?", will sie mit fragenden Gesichtsausdruck wissen. "Leider ja. Wir haben schon in der Klinik bei Lias einen Arztwechsel vollzogen, da die bisherigen Medikamente nicht gegriffen haben und Dr. März hatte schon so etwas in der Art angedeutet. Er musste aber noch genauere Tests durchführen, hat Lias aber sofort auf andere Medikamente umgestellt!" Anerkennend nickend notiert Frau Kunkel etwas auf einem der Blätter und seufzt dann vor sich hin: "Man kann sich nur wünschen, dass die restlichen Kinder ebenfalls solch eine derart großartige Unterstützung bekommen. Die meisten Versuchskaninchen müssen nun einen Entzug durchleben, was mich wirklich fassungslos macht. Sechsundvierzig Kinder, die einfach so behandelt wurden, obwohl ihnen teilweise gar nichts gefehlt hat. Vitamine wären das, haben die Betreuer zu ihnen gesagt. Gut, die meisten hatten wirklich keine Ahnung, aber.. Schrecklich... Ich bin begeistert, dass sie für Lias schon die Weichen für ein normales Arzt-Patienten Verhältnis gelegt haben."
Ich schüttle ungläubig den Kopf. Wenn man daran denkt, dass Frau Türk sechsundvierzig unschuldige Kinder mit unerforschten Medikamenten gefüttert und dafür eine unbeschreiblich hohe Summe einkassiert hat, könnte ich glatt zum Mörder werden.

Frau Kunkel legt ihr vollgekritzeltes Blatt zur Seite und zieht ein neues hervor. Auf diesem sind einige Namen meiner Kollegen aufgeführt. "Ich war so frei, mich mit ein paar ihrer engeren Kontakte auf dem Revier in Verbindung zu setzen. Es war mir von vornherein klar, dass die Aussagen positiv ausfallen werden, aber das... Also, solch einen Zusammenhalt habe ich noch nie erlebt. Herr Mayer, Herr Sindera, Herr Westernhoven, Herr Sturm und wie sie alle heißen, sind top informiert, konnten mir die Medikamentation von Lias wiedergeben und wissen, was im Notfall zu tun ist, wenn es dem Kind schlecht gehen sollte. Bemerkenswert, wie ich finde. Warum haben sie das getan?" "Was genau?", frage ich irritiert und bin so froh, dass wir das auf dem Revier schon alles im Groben durchgesprochen haben. "Ihre Kollegen über alles bis ins kleinste Detail aufzuklären!" "Wir sind wie eine große Familie und unternehmen viel zusammen. Es erschien mir vernünftig, meine Freunde und Kollegen in Kenntnis zu setzen, damit Lias im Fall der Fälle schnell geholfen werden kann. So fühlt sich der Kurze auch sicherer."
Frau Kunkel nickt wieder vor sich hin und spricht das nächste Thema an: "Anton wird auch des Öfteren in ihrer Obhut landen, wie mir Herr Hetkamp berichtet hat. Kommen Sie denn mit zwei Kindern zurecht?" "Ich sehe darin kein Problem. Außerdem sind die Jungs ein eingespieltes Team. Die beiden kennen sich am besten und helfen sich gegenseitig. Für die zwei sehe ich es eher als positiv, dass sie in Zukunft viel zusammen sein werden!" Mit meiner Antwort bin ich sehr zufrieden, werde aber ein klein wenig unsicher, da die Dame vom Jugendamt gar nicht weiter darauf eingeht, sondern die nächste Frage stellt: "Haben Sie eine Partnerin?" "Nein." "Wie sehen Sie diesen Aspekt, dass eine weibliche Bezugsperson fehlt?"

Lias will glücklich seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt