Kapitel XI

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Nachdem ich Ivan in sein Zimmer gebracht hatte, machte ich mich auf den Weg in meins. Langsam schleppte ich mich zur Treppe.
Zum Glück trennten unsere Etage nur wenige Stufen, sodass ich schnell auf meinen Stock ankam.
Die Müdigkeit nahm immer mehr von meinem Körper ein, die Beine wurden schlafer und meinen Schultern verloren ihre Spannung.

Als ich in den Flur trat, sah ich einen unerwarteten Gast, welcher mir den Weg versperrte. Die Person stand wartend vor meinem Zimmer, doch ich wollte mich jetzt nicht damit befassen.
Alles was ich wollte war mein Bett.

Beatrice stand unsicher vor der Tür, den Kopf unten gehalten. Sie hatte mich noch nicht bemerkt, wieso ich den Anfang machte.
"Ich weiß wieso du hier bist, doch hab ich dafür jetzt keine Kraft. Wir reden morgen." Ich zog an ihr vorbei, ohne einen Blick auf sie zu werfen und umfasste meine Türklinke.
Ob Beatrice sich für Auroras Verhalten entschuldigen oder es rechtfertigen wollte, war mir egal. Es konnte bis morgen warten.
Gerade, als ich meine Schlafzimmertür öffnen wollte, erklang ihre Stimme.
"Mein Vater starb, als ich acht Jahre alt war."
Ich hielt in meiner Bewegung inne. Diese Aussage erwischte mich völlig unerwartet. Ich hätte gedacht sie würde mich an flehen, dass ich ihre Schwester nicht bestrafe, oder zumindest sich für ihr Verhalten entschuldigen.
Nicht gerechnet hab ich mit einer Familien Beichte.

Langsam ließ ich die metallische Klinke los und drehte mich zu ihr um. Ohne lange Zeit verstreichen zu lassen, ging ich in die Richtung, aus der ich eben noch gekommen war. Beatrice hingegen blieb wie angewurzelt auf ihrer Stelle stehen.
"Du hast eine Kekspackung Zeit, um zu sagen, was du willst."
Rief ich ihr zu, während ich selbst bereits an der Treppe angekommen war.
Wäre ich nicht schwanger, dann hätte ich nach Wein und einer Zigarette verlangt, doch so musste es bei einfachem Zucker bleiben.

In der Küche machte ich mich auf die Suche nach etwas Süßem, während Beatrice uns eine Kane Tee machte.
Es war schon spät uns außer uns hielt sich keiner mehr unten auf.
Flink durchstöberten meine Finger die Küchenschränke und nachdem ich eine beachtliche Menge an Beute zusammen getragen hatte, setzte ich mich an den Esstisch.
Mit einem Keks bewaffnet machte ich mich bereit zu zuhören, doch es blieb still.
Beatrice saß gegenüber von mir, den Kopf gesenkt, die Hände an ihrer Teetasse.
War sie nicht diejenige, die nach mir Gesicht hatte?
Wollte sie nicht dieses Gespräch?!
Wieso sprach sie dann nicht?

Entgegen meiner inneren Ungeduld sagte ich nichts, sondern aß einfach meine Kekse.
Sie wusste, dass ihre Zeit begrenzt war und sollte sie diese nicht nutzen, würde ich einfach aufstehen und ins Bett gehen.
Die Minuten vergingen und ich vernichtete gerade meinen dritten Keks, als sie ihre Stimme plötzlich ertönte.
"Er war ein Berater von Sergio, kein hoher Rang, jedoch es reichte aus, um einen Status innerhalb der Mafia zu haben." Ich hob meinen Blick, doch Beatrice sah immer noch auf die Tischplatte.
"Meine Erinnerung an ihn schwindet mit jedem Tag, der vergeht. Aber die, die ich noch habe, bewahre ich sorgsam auf. Mein Vater war ein guter Mann, sehr sogar. Jeden Tag nach der Arbeit kam er in mein Zimmer, egal wie müde oder kaputt er war und las mir vor. Oft suchte ich mir schon vor seiner Ankunft ein Buch aus und wartete aufgeregt in meinem Bett auf seine Ankunft. Und jedes Mal, bevor er auf eine Reise ging, schauten wir uns gemeinsam den Sternhimmel an. Dann zeigte er mir die verschiedenen Sternezeichen und erzählte mir ihre Mythen."
Beatrice erhob den Kopf und sah mich an. In ihren Augen konnte ich ein Funkeln wahrnehmen. Doch ehe sie weitersprach, erlosch er und ihre Miene verhärtet sich.

"Eines Tages ging er auf eine Mission, kam aber nicht wieder." Ihre Stimme zitterte und ich erkannte, dass sie ihren Vater wirklich liebte.
Der Schmerz seines Todes saß noch tief in ihrer Seele. Ähnlich, wie bei mir.
"Danach wurde es schwer. Obwohl die Martinellis und andere Mitglieder immer noch schätzten und unterstützten, änderte sein Tod alles. Meine Mutter verlor vollkommen ihren Halt, mein Onkel versank in seiner Arbeit für die Mafia und baute sich sein eigenes Ansehen auf, um unserer Familie zu helfen und meine Schwester, nun ja, sie war noch sehr jung als das alles passierte. Sie hatte nie eine Vater Figur, die ihr hätte beibringen könnte, was richtig und was falsch ist. Meine Mutter hielt sich größtenteils aus ihrer Erziehung heraus und lagerte die Verantwortung für sie auf mich ab."
Aufmerksam lauschte ich ihren Worten, auch, wenn ich innerlich kein ehrliches Verständnis für Aurora, trotz dieser Erklärung, aufbringen konnte.
Der Tod eines Elternteils gibt einem keinen Freifahrtschein zu tun oder zu lassen, was man möchte.
Es erklärt ihr Verhalten, entschuldigt es aber nicht.
Ich würde deswegen nicht von einer Strafe absehen, nicht, dass ich Aurora ernst vorhatte zu bestrafen.
Wäre dem jedoch so, dann hätte mich dieses Argument sicher nicht gemildert.

Wir alle haben dunkle Zeiten in unserem Leben, haben Menschen verloren und Leid erfahren, jedoch bleibt es uns überlassen, was diese Erfahrung aus uns macht. Ob wir schwächer oder stärker aus diesem Erlebnis heraus treten ist eine Entscheidung und Aurora hat nun mal die Falsche getroffen.

Ich kann nicht ohne Zweifel behaupten, dass ich die Narben, welche mir mein Leben verschaffte, mit dem selben Stolz verarbeitet hatte, mit dem ich diese Gedanken gerade formuliere, jedoch habe ich mich immer bemüht, damit sie mich nicht auszeichneten.
Eine tote Mutter, ein desinteressierter Vater und ein aufgezwungener und ungewollter Platz am Esstisch der Petrovs hatte mich immer wieder aufs Neue dazu gezwungen, Entscheidungen zutreffen.

"Aus dem Grund hielten Lorenzo und ich es auch geheim, dass wir ein Paar sind. Es lag an meiner Familie. Meine Mutter und mein Onkel übten enorm fiel Druck auf mich aus. Ich musste mich immer von der besten Seite zeigen, niemals meine Trauer oder Umwollen zeigen, geschweige denn Widerworte geben. Wenn sie früher gewusst hätte, dass wir zusammen sind, dann hätte sie alles getan, um uns zu verheiraten. Egal ob wir es gewollt hätten oder nicht." Auch, wenn ich Auroras Verhalten nicht entschuldige, so fing ich an Beatrice besser zu verstehen.
Überraschenderweise waren wir uns ähnlicher, als ich zunächst annahm. Wir beide verloren einen Elternteil, den wir über alles liebten, während der andere uns meistens ignorierte.

Beatrice hob wieder ihren Kopf und ich konnte sehen, wie sie versuchte ein paar Tränen wegzublitzeln.
"Man sagt, dass die Narben einer Tochter immer vom Vater stammen. Ich schätze es ist dabei egal, ob er lebt oder tot ist, wir leiden."
Meine Worte klangen kälter als ich beabsichtigt hatte, doch die gezogenen Parallelen zwischen uns brachten meine eigenen Erinnerungen wieder hoch.

Ich nahm meine Tasse in die Hand und führte sie an meine Lippen. Der Tee war bereits etwas abgekühlt, sodass ich ihn problemlos trinken konnte. Als ich wieder zu Beatrice sah, bemerkte ich, daß sie leicht lächelte, als hätte sie in meiner Aussage eine gewisse Art von Trost finden können. Aber wahrscheinlich war es nur die Gewissheit, dass sie mit diesen Wunden nicht alleine war.

Es vergingen weitere Minuten, in denen wir über unsere Vergangenheit sprachen, wenn auch nur noch oberflächliche.
Nachdem ich meinen letzten Keks gegessen hatte, verabschiedeten wir uns und ich versicherte mich, dass sie meinen stillen Hinweis darüber, dass ich Aurora nicht bestrafen würde, verstand.

Als ich in meinem Schlafzimmer ankam war es Stock düster. Nur das Mondlich, welches durch unsere große Fensterwand hineinschien, bot eine Lichtquelle. Es reichte gerade aus, um die Umrisse der Möbelstücke wahrzunehmen. Kurz dachte ich daran das Licht anzuschalten, doch dann sah ich eine Gestalt im Bett liegen. Dante muss bereits schlafen.
Also machte ich mich leise und im Dunkeln auf den Weg ins Bett. Ich ließ mich auf die Matratze sinken, doch ehe ich mein ganzes Gewicht niederlassen konnte, wurde ich an seine Seite gezogen.
"Ich dachte du schläfst." Ich hob meinen Kopf von seiner Brust und sah in sein Gesicht. Dante hielt die Augen immer noch geschlossen und würde ich seinen festen Griff nicht an meiner Taille spüren, hätte ich geglaubt er schliefe wirklich.
"Hast du jemals erlebt, dass ich ohne die eingeschlafen bin, Amore?" Seine Stimme war dunkel, fast schon kratzig.
Aber wo er recht hatte...
Ich hab noch nie gesehen, dass Dante vor mir im Bett lag, geschweige denn vor mir eingeschlafen war.

Ich ließ meinen Kopf wieder sinken und kuschelte mich in seine Arme.
Er drückte mir einen Kuss auf den Haaransatz und entspannte sich dann unter mir.
"Vergiss nicht, dass wir morgen einen Termin bei deiner Gynäkologin haben."
Ich riss veruwndert die Augen auf. Plötzlich war ich hell wach und die Müdigkeit war wie von mir gefallen.
Ich hatte den Termin völlig vergessen.

"Morgen erfahren wir, wer die Wette gewonnen hat, mia cara."
Meiner Meinung nach, sagte er den Satz viel zu eingebildet, als hätte er schon gewonnen.

Träum ruhig weiter Dante Martinelli, doch wir bekommen eine Tochter.

Ace of Hearts IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt