Kapitel XVI

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Nachdem mein Schwager mir seine Geschichte erzählt hatte, ließ ich ihn alleine und machte mich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer. Hoffentlich hatte sich der Streit zwischen Ivan und Lorenzo mittlerweile aufgelöst, doch wie immer gingen meine Wünsche nicht in Erfüllung.

Ich hatte es nicht einmal die Treppe herunter geschafft, als die ersten Stimmen gegen mein Trommelfell dröhnten. Diesmal war es jedoch eine Frauenstimme.
"Großmutter du bist doch keine Hellseherin!" Diese weisen Worte kamen von Marco, doch anstatt mich auf den Part mit der Hellseherin zu konzentrieren, legte sich die Betonung meiner Gedanken auf den ersten Teil.
Großmutter??!
Was Letizia zurück gekommen? Und wenn ja, wann?
Valerias Mutter lebte nicht mehr, sodass die Jungs nur noch eine Oma hatten.
"Und seit wann glaubst du an sowas?" Diesmal hörte ich Riccardo Stimme, wenn auch leiser als die anderen.

"Was wisst ihr kleinen Facce di merda denn, woran ich glaube?! Wenn ich sage, dass es ein Omen ist, dann ist das so!"(Scheißgesichter)
Was zum Teufel war passiert, dass sich eine forme Lady wie Letizia so ausdrückte?
Ich trat ins Wohnzimmer und traf dort die ganze Familie an. Neben den üblichen Personen, waren auch Letizia, Valeria, Sergio und Chiara wieder im Haus.
Die Spannung zwischen allen Anwesenden war so hoch, dass sie mich nicht bemerkten, als ich mich neben Chiara stellte und in die Runde sah.
Letizia saß aufgebracht auf dem Sofa und hatte ihre Enkel um sich herum versammelt. Valeria versuchte sie zu beruhigen, aber auch auf ihrem Gesicht waren Tränen zu sehen.
Mein Blick traf den von Vlad und ehe ich einen Gedanken zu Ende führen konnte, signalisierte mein Freund mir mit einem dezenten Kopfschütteln, dass ich mich raushalten sollte.
Ich folgte seinem Rat und sah einfach zu.
"Wie kann ein Traum ein Omen sein? Ich dachte das sind nur Plagen oder Naturkatastrophen." Ich sah zu Chiara, welche ihre Oma fragend an guckte.

Von was für einem Traum sprach sie? War das der Grund, wieso sich alle hier versammelten? Eine Traumdeutung?!
Das alles wegen einem bloßen Aberglauben...
So rational ich auf diese Situation auch schauen wollte, ich musste zugeben, dass so ein Verhalten auch in meiner Familie vorkam. Anders als die Italiener glaubten wir nicht an die Vorhersage mittels einem Traum. Wir mieden eher Verhaltensweisen, welches Unglück anzog. In russischen Häusern darf im Inneren nicht gepfiffen werden, weil das Unglück bringt und man Geld verliert. Verlässt man das Haus und muss zurückkehren weil man etwas vergessen hat, dann besagt die Regel des Aberglaubens, dass man vor dem zweiten hinausgehen zunächst in den Spiegel schauen muss, damit das Unglück einen nicht verfolgt.

Besonders die ältere Generation unterlag dem Aberglauben. Meine Mutter achtete darauf, dass wir solchen Dingen immer folgten, wieso ich den aufgebrachten Ausdruck auf Letizias Gesicht verstehen konnte, wenn ich selbst nicht daran glaubte.
Und wie es aussah taten die jungen Martinellis dies auch nicht.
"Ich hab genug! Es ist egal, was Großmutter geträumt hat, es ändert nichts an dem Plan. Wir werden Isabella finden, so oder so." Nachdem Dante sein Machtwort gesprochen hatte, wollte Letizia noch was sagen, hielt sich dann aber zurück. Ich denke sie hat gemerkt, dass ihr Enkel kein weiteres Wort hören wollte.
Dante durchquerte den Raum und nahm mich an der Hand.
"Löst euch auf und geht wieder an die Arbeit!"
Danach zog er mich achtsam hinter sich her, während er sich den Weg zur Treppe durchbannte.
Kurz vor dem Flur hielt er plötzlich abrupt an und ich wäre fast in ihn hineingelaufen. Langsam drehte er sich um und sah auf das Kuscheltier in meiner Mann. Ich trug immer noch diesen albernen Teddy mit mir rum. Es war, als wäre er für einige Augenblicke eingefroren. Dann hob er den Blick und starrte hinter mich.
Verwundert sah ich ihn an, doch seine Aufmerksamkeit lag auf seiner Familie im Wohnzimmer.

"Wir bekommen übrigens einen Sohn." Die Atmosphäre im Raum änderte sich schlagartig, doch Dante gab ihnen keine Chance, um auf die Neuigkeit zu reagieren. Keine Sekunde nachdem er diesen Satz gesagt hatte, waren wir schon auf der Treppe und gingen in Richtung unseres Schlafzimmers. Wir hörten noch die Rufe seiner Mutter und Brüder, doch mein Mann ließ sich davon nicht beirren und ging direkt zu unserem Zimmer.
So hatte ich mir den Moment unseres Gender Reveals nicht vorgestellt, aber im Augenblick passierte nichts so wie man es plante.
Ich hatte mich bereits damit abgefunden und wollte das Thema nicht weiter in meinem Kopf durchdenken. Es war wie es war, ändern konnte ich es sowieso nicht.

Die wenigen Worten, die wir austauschten, bis wir uns ins Bett legten, konnte man kaum eine Unterhaltung nennen. Dante war die ganze Zeit tief in seinen Gedanken verflochten und auch wenn er es niemals zugeben würde, ich wusste, dass die Worte seiner Großmutter einen Effekt an ihm hinterlassen hatten. Schweigend legte ich mich zu ihm ins Bett und platzierte meinen Kopf auf seiner Brust. Dante reagierte so gleich auf meine Präsenz und umfasste mit einer Hand meine Taille, während er die andere auf meinen schon gerundeten Bauch legte.
"Hat Luca es dir erzählt?" Mit dieser Frage hatte ich heute nicht mehr gerechnet, besonders, da es so aus sah, als würde er gleich einschlafen, doch seine Stimme klang fest und gleichmäßig. Ich hob meinen Blick und sah ihn an. Seine Gesichtsmuskeln waren immer noch angespannt und es schien, als würde ihn der momentane Stress nicht einmal im Schlaf in Ruhe lassen wollen.
"Ja er hat mir von Nora erzählt."
Daraufhin nickte er knapp, die Augen immer noch geschlossen.
Ich legte meinen Kopf wieder ab und wartete darauf, dass er mir mehr sagen würde, doch Dante blieb still.

Als ich mich damit abfand, dass wir nicht weiter über dieses Thema reden würden, wagte ich es ein anderes Problem anzusprechen, welches mich beschäftigte.
"Was hat deine Großmutter geträumt?"
Seine Brustmuskeln zuckten kurz unter mir zusammen, nachdem ich meine Frage ausgesprochen hatte und ich wünschte in dem Moment ich könnte sie zurück nehmen. Wieder einmal hatte meine Neugier meine taktvolle Seite übermannt und mich dazu gebracht dieses Thema direkt anzusprechen.
Doch anders als von mir befürchtet, entspannte sich Dante sofort wieder und atmete einmal tief ein. Seine Hand an meiner Hüfte wanderte hinauf und er fing an mir zärtlich durchs Haar zu fahren.
Die Massage an meinem Kopf trieb mich in den Schlaf und ich schloss ungewollt die Augen. Mit jeder seiner Bewegungen glitt ich weiter in die Traumwelt ab und mein Bewusstsein wurde nebelig.

Kurz bevor meine Kräfte endgültig wichen und ich einschlief, hörte ich seine leise Antwort.

"Sie hat einen Raben gesehen."

Ace of Hearts IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt