Kapitel XV

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Anastasia

Wie angewurzelt stand ich da und lauschte Lorenzos Rede. Meine Hand bohrte sich immer weiter in den Stoff von Dantes Hemd und ich versuchte so meine Wut über die Worte meines Schwagers zu zügeln.
Aber nicht nur meine Gefühle musste ich kontrollieren, sondern auch das Temperatur meines Mannes war kurz davor auszubrechen. Dante sah so aus, als könnte er Lorenzo jeden Augenblick an die Gurgel springen. Sein Einmischen würde alles nur noch schlimmer machen, sodass ich ihn zurückhalten musst, wenn ich nicht wollte, dass das Wohnzimmer in einer Explosion hoch ging.

Plötzlich erregte die Erwähnung von Lucas Namen meine Aufmerksamkeit. Es war nicht das erste Mal, dass er im Kontext mit der Mission in Sofia genannt wurde. Ich erinnerte mich dunkel, dass er mir bei einem tiefgründigen Gespräch mal von einer Mission erzählte, die ihn heute noch im Traum heimsuchte. Damals versuchte er mir mit dieser Erzählung beizustehen und betitelte mein Trauma und meine Alpträume als normal nach einem solchen Ereignis. Jedoch hatte er mir nie im Detail erzählt, was in Bulgarien vorgefallen war.
Mein Wissensstand befand sich immer noch auf dem selben Niveau wie vor einem Jahr.
Von Ivan und Vlad wusste ich, dass es in Bulgarien zu einer enormen Anspannung zwischen unseren Mafias gekommen war. Die Genze, welche seit Jahren bestand, wurde immer wieder verrückt, sodass es zu Konflikten unserer Familien kam. Es eskalierte so weit, dass sich die beiden Gruppen vor Ort ein Massaker erlaubten, um sich gegenseitig zu bekämpfen. Dabei kam es nicht nur auf Seiten der Mafia zu Verlusten, sondern auch bei der Bevölkerung. Die Hauptstadt war überflutet mit dem blutroten Fluss, der die Straßen füllte.
Dieser Horror führte dazu, dass die beiden Familien einen Waffenstillstand vereinbaren mussten und im Endeffekt zu unseren Hochzeiten.
Lorenzos Worten nach verbarg sich hinter dem Vorfall aber mehr, als nur eine geschichtliche Tragödie. Hinter all dem versteckte sich mehr und dieses etwas zwang Luca seine Stimme gegen seine Bruder zu erheben und den Raum zu verlassen.

Mittlerweile hatte ich meinen Schwager eingeholt und wir befanden uns auf der Dachterrasse. Er stand mit dem Rücken zu mir und blickte in die Ferne. Der Herbst Wind blies kühl um meine, kaum bedeckten, Schultern und bereute augenblicklich, dass ich meine Jacke abgelegt hatte. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Nacken aus und ich zuckte leicht zusammen.
Immer noch den Teddy in der Hand, näherte ich mich Luca und stellte mich schweigend neben ihn.
Auch, wenn ich den Blick gerade hielt, konnte ich ihm Augenwinkel seinen Gesichtsausdruck sehen. Luca versuchte eine neutrale Miene aufzusetzen und sein Gefühlschaos zu verstecken und wenn ich die Show von vorhin nicht mitbekommen hätte, dann würde ich ihm die Maske vielleicht sogar abkaufen, doch so sah ich die Sprünge in seiner fast perfekten Fassade. Er litt unter den Erinnerungen und versuchte erneut vor ihnen davon zu laufen.
Nur leider verlor er diese Jagd, denn was er noch nicht verstand war, dass er vor sich selbst davon lief.

"Ich bekomme einen Neffen?" Überraschend erklang Lucas Stimme und riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah zu dem Kuscheltier in meiner Hand herunter. Der Teddy trug ein blaues Hemd, mit dessen Hilfe wir allen das Geschlecht mitteilen wollten, nur leider kamen wir nicht dazu.
"Ja, es wir ein Junge."
Meine Augen wanderten nach oben und trafen auf die haselnussfarbenen Augen von Luca.
"Herzlichen Glückwunsch. Eigentlich wollte ich, dass du die Wette gewinnst, auch wenn ich denke, dass er gut ist, wenn das erste Kind ein Sohn wird."
Er zog mich in eine kurze Umarmung und ich erwiderte sie, bis er von dem ersten Kind sprach. Diese Formulierung erschütterte mich und ich ließ ihn abrupt los.
Wenn man zählt, dann gibt es mehr als eins, oder?
Niemand sagt das Erste, wenn er nicht vor hat auch ein Zweites zu erwähnen, richtig?
"Was meinst du mit erstes Kind?" Mit einer ausreichend starken Betonung machte ich ihm klar, welches dieser Worte mir nicht gefiel.
Luca zog die Augenbraun kurz zusammen, ehe sich sein Gesichtsausdruck veränderte.
"Glaubst du wirklich, Dante würde sich nach einem Kind geschlagen geben? So wie ich meinen Bruder kenne, dann werdet ihr fünf oder sechs Kinder haben."
Luca wandte sich wieder ab und sah in die Ferne.
Das war nicht sein ernst oder?
Wie kam er darauf?
Und war meine Meinung den überhaupt nicht wirklich bei diesem Thema?
Immerhin war ich diejenige, die diese Kinder austragen müsste!

Meine Gedanken überschlugen sich und ich schweifte immer weiter ab. Warum dachte ich überhaupt darüber nach?!
Das war ein Thema, welches ich mit Dante besprechen sollte und selbst dafür gab es noch mehr als nur genug Zeit.
Also sollte ich mich wieder auf das Hauptthema konzentrieren. Nur wie fang ich an, ohne ihn zu erschrecken oder zu viel Druck aufzubauen?
"Und was ist mit dir? Du sagtest mir, dass du vor hast ein ewiger Single zu sein, aber was ist mit Kindern?"
Mein vorsichtiger Versuch das Thema langsam von mir weg zu verleiten führte dazu, dass sich eine seltsame Stille über uns legte.
Ich hatte Sofia oder Bulgarien mit keinem Wort erwähnt und doch hatte sich auf seinem Gesicht der selbe Ausdruck formatiert, wie zuvor.
Die Minuten vergingen und ich dachte schon, dass er auf meine frage nicht antworten würde, als er begann zu sprechen.

"Ihr Name war Nora." Seine Stimme bedrückt, als würde ihm die Aussprach jedes einzelnen Wortes Schmerzen zufügen.
"Mein Vater schickte mich vor zwei Jahren nach Bulgarien, um die Lage vor Ort zu entschärfen. Im Grunde genommen sollte ich dafür sorgen, dass deine Familie die Grenze nicht übertritt oder sie begradigt." Als er die Petrov als meine Familie betitelte tauchte die Gänsehaut wieder auf. Ich wusste, dass er es ohne Hintergedanken tat und theoretisch hatte er ja recht sie so zu nennen, jedoch konnte ich nicht anderes, als ein Unwohlsein zu verspüren.

"Dort lernte ich sie kennen. Nora besaß ein kleines Café in der Innenstadt von Sofia, neben einem Blumenladen. Der Duft von frischen Gardenien mischte sich mit dem von Arabica Bohnen, wenn man die kleine Gasse entlang ging. Ich kaufte mir dort jeden Morgen einen Espresso und irgendwann kamen wir ins Gespräch. Ihre Naivität und Reinheit zogen mich von der ersten Sekunde zu ihr. Ich konnte mir nicht erklären, wie ein so gutgläubiger Mensch in dieser Welt lebte, ohne dass jemand in verdarb."
Noch nie zuvor hatte ich Luca so verwundbar gesehen. Die Wahl seiner Worte, seine Stimmlage und die Spannung in seinen Schultern zeigten mir, was er nicht gewillt war auszusprechen.
Er liebte dieses Mädchen und das sehr.
Ich gab ihm die Zeit, die er benötigte, um weiterzusprechen.
Der kommende Teil muss schwer für ihn zu erzählen sein, denn er umfasste das Geländer mit einer solchen Kraft, dass seine Finger ihre Farbe verloren.
"Ich war auf einer Mission am anderen Ende der Stadt, als mich Christiano anrief. Er sagt mir, dass die russischen Feldsoldaten etwas planten und dass es seinen Informationen nach in der Innenstadt stattfinden würde."

Nun spannte sich auch mein Körper an. Ich drückte das Kuscheltier in meiner Hand fest zusammen.
Von Ivan wusste ich, dass wir zu dieser Zeit viele Feldsoldaten in Sofia hatten. Die unsichere Situation zwang ihn damals dazu, die Anwesenheit unserer Leute zu verstärken. Er selbst war nur zwei Wochen vor Ort und genau zu der Zeit fand das Massaker statt, nur wusste ich nicht genau in wie weit er selbst involviert war.
"Ich machte mich sofort auf den Weg zu ihrem Café, doch als ich dort ankam, war es bereits zu spät."
Zum Ende hin fing Lucas Stimme an zu zittern.
Ich drehte mich zu ihm um, doch er behielt seine Position steif bei und starrte auf den Horizont.

"Sie hatten eine Autobombe gezündet und die Druckwelle traf ihr Café. Es zerstörte alle Fenster in dem Gebäude und überall lagen Scherben. Die Menschen schrien und liefen wie wild durcheinander. Egal wo man hinsah waren Verwundete, die Farbe Rot überdeckte alle anderen Farben der Palette und wischte alle Kontraste davon."
Sein Schmerz wanderte direkt in mich und ich fühlte mit ihm. Eine Träne formte sich in meinem Auge und ich blinzelte sie weg.

"Als ich ihr Café betrat lag sie blutverschmiert am Boden. Ihre wunderschönen blonden Haare waren kaum wiederzuerkennen, da sich sich aufgrund ihres Blutes braun verfärbten. Ihre helle Porzellanhaut war überseht mit Schnittwunden und ihre Augen..."
Weiter konnte er nicht sprechen, ehe ihn die Emotionen überwältigten. Seine Atmung wurde schneller und unregelmäßiger und seine Körper fing an zu zittern.
Die Hände immer noch an dem Geländer, ging er einen Schritt zurück und beugte sich vor. Auf die Art versteckte er sein Gesicht vor mir und ich ließ ihm diese Freiheit.
Vorsichtig und mit all meinem Mitgefühl klopfte ich ihm leicht auf den Rücke. Er sollte wissen, dass ich für ihn da war, ohne seine Barriere zu durchbrechen.

Nachdem er sich einiger Maßen beruhigt hatte, richtete er sich wieder auf und drehte sich zu mir. Diesmal sah er nicht in der Gegend herum, sondern blickte mir direkt in die Augen.
Und dann sprach er das aus, was ich bereits geahnt hatte.

"Sie öffnete ihre wunderschönen grünen Augen nie wieder."

Das Geheimnis vom Massaker in Sofia war gelüftet.

Das Geheimnis hinter Lorenzos tiefen Hass war gelüftet.

Der Grund für Lucas ewige Trauer war gelüftet.

Und die Geschichte hinter dem, wie Luca seine Liebe verlor, wurde erzählt.

Ace of Hearts IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt