-36-

422 26 1
                                    

Ich schmecke den Staub auf meiner Zunge

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Ich schmecke den Staub auf meiner Zunge. Vor mir, wo eben noch Sarah gestanden hat, liegt ein großes Trümmerteil vom Haus. Ich muss nicht nachsehen, um zu wissen, dass sie tot ist.

Viel zu deutlich spielt diese Erinnerung wieder und wieder ab, als wäre es ein Film, der kaputt ist.

Jemand sagt meinen Namen, ich schätze, es ist Thor. Aber es ist, als wäre mein Kopf unter Wasser, wärend ich Loki anstarre. Er sagt nichts, nicht einmal sein Mundwinkel zuckt. Er sieht mich einfach nur an und sein Blick spricht Bände.

Mein Blick wird glasig, als sich die Tränen in meinen Augen sammeln. Ich halte sie nicht zurück, wie könnte ich auch, wenn ich noch immer den Staub auf meiner Zunge schmecke und Sarah tot ist.

Meine Beine sind wie Watte, als ich mich umdrehe. Ich muss hier weg. Ich will weg! Das ist alles gar nicht wahr, das ist alles gar nicht real.

Wackelig betrete ich den Palast, ohne zurück zu sehen. Es ist mit egal, ob er mir folgt. Meine Ohren rauschen, genau wie damals, als die Trümmelteile auf den Boden krachten. Sarah.

Bittere Galle steigt in mir hoch und meine watteartigen Beine führen mich durch den Palast, vorbei an halbhohen Steinkrügen, in denen palmenähnliche Pflanzen wachsen. Hübsche Pflanzen. Ich gehe direkt darauf zu und übergebe mich in die Krüge.

Denk zuende, Noa. Sprich es aus!

Aber so weit bin ich noch nicht. Mein Herz kämpft gegen den Verstand an. Der Verstand, der sehrwohl weiß, was jetzt ans Licht gekommen ist.

Oh Gott!

Ich spüre jeden Peitschenhieb auf meinem Rücken, jede Minute des Hungerns und unsichtbare Fesseln zerren an meinen Handgelenken.

Ich weiß nicht wie, aber irgendwie schaffe ich es zu Lokis Zimmer.

Sag es!

Mein Herz schlägt viel zu schnell und der Geschmack von Staub will meine Zunge nicht verlassen. Sarah! Mom! Dad!

Der Boden schwankt und kommt plötzlich bedrohlich nahe! Und schon liege ich darauf, aber kein Schmerz ist zu spüren.

"Noa." Vorsichtig legt Loki seinen Arm um meine Schultern. Aber die Berührung ist Gift und sticht wie Höllenfeuer, also schüttel ich ihn ab.

"Fass mich nicht an!" Ich fahre herum und erschrecke, wie dicht er neben mir steht.

Sag es!

"Du...", stammel ich atemlos, als wäre ich stundenlang gerannt.

Mit zusammengepressten Kiefer schaut er mich an.

"Du..." Meine Stimme wird leiser.

"Du." Fast lautlos. Die Erkenntnis nimmt mir sie Luft zum Atmen, raubt mir die Energie. Ich zittere und will mich erneut übergeben, halte mich aber zurück.

Tränen tropfen auf den Sandsteinboden.

Er war es.

Mein Herz bricht.

Er hat New York angegriffen. Er hat Sarah getötet. Er brachte die Monster mit.

Er war alles seine Schuld.

Kalte, tiefe Trauer bildet sich in mir, breitet sich bis in die Fingerspitzen und Zehen aus und ich frage mich, wie schnell man sich entlieben kann. Die Kälte umschließt mein Herz und vertreibt jede Wärme.

"Du wusstest es die ganze Zeit.", sage ich, ohne ihn anzusehen. "Du wusstest es und hast nichts gesagt."

"Es hätte die Vergangenheit nicht geändert."

"Es ändert aber alles für mich!" Ich fahre herum und ehe ich mich versehe, gebe ich Loki eine schallende Ohrfeige. Sie kommt so unerwartet, dass sein Kopf durch die Wucht zur Seite schnellt. Augenblicklich stehe ich auf meinen Füßen und balle meine Hände zu Fäusten, sodass sich meine Fingernägel in die Handflächen bohren.

"Du hast Sarah getötet! Du hast New York angegriffen. Du hast diese Monster mitgebracht. Und du hast Menschen entführen lassen!"

Ich will ihm noch einmal schlagen, rühre mich aber nicht vom Fleck. Ganz langsam steht Loki auf, richte sich vor mir auf und überragt mich um mehr als einen Kopf. Aber es ist nichts Bedrohliches an ihm. Warum er? Warum gerade dieser Mann, der mir endlich Halt gegeben hat?

"Wusstest du es von Anfang an? Hast du mich deshalb hier her gebracht? Was bist du? Sadist?" Meine Muskeln verkrampfen und ich fange an, vor zu Wut zu zittern.

Loki hebt abwehrend die Hände. Seine Stimme ist ganz ruhig. "Nein, erst seitdem ich deine das erste Mal Erinnerung gesehen habe. Und da habe ich mir geschworen, dir ein gutes Leben zu geben. Gerade weil das alles passiert ist. Aber dann hast du dich mir angeboten," Loki seufzt tief, "und Noa, ich weiß, ich durfte das nicht zulassen, aber es fiel mir so schwer. Wie konnte ich dich nicht berühren?"

"Du hast mich ausgenutzt."

"Was? Nein!"

"Du hast mich ausgenutzt, um dein schlechtes Gewissen zu schmälern."

"Noa, nein, das stimmt nicht." Loki kommt einen Schritt auf mich zu, aber ich weiche zurück. Ich weiß nicht, was passieren wird, wenn er mich berührt. Großer Gott, ich will, dass er mich berührt. Er soll mich in den Arm nehmen, mich trösten, weil er wichtigste Mann in meinem Leben geworden ist. Aber mein Herz errichtet eine Mauer, hoch und undurchlässig.

"Du hast mich benutzt. Hast mich in dich verlieben lassen. Mich in dein Bett geholt und denkst, dass damit alles wieder gut ist." Meine Stimme zittert. "Du hast mich belogen, damit es dir besser geht."

"Ich habe niemals gelogen."

"Die Wahrheit zu verschweigen ist wie eine Lüge!" Ich schreie, weil ich nicht weiter weiß. "Du hast mich ausgenutzt und dir genommen, was DU brauchst, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was das Richtige ist!" Hastig atme ich ein und wieder aus. "Ich wurde entführt, gequält, verkauft und geschlagen. Ich wurde ausgepeitscht und musste unvollstellbare Dinge mit ansehen. Dinge, die man sich in seinen schlimmsten Albträumen nicht ausdenken kann. Und daran bist nur du Schuld!"

Ohne abzuwarten, gehe ich in mein kleines Zimmer, donnere die Tür zu und werfe mich auf das Bett.

Ich kann nicht weinen. Ich kann nicht schreien. Ich kann den Trümmerhaufen nicht vergessen, der Sarah begraben hat. Ich kann den ausgeweideten Körper von Yola nicht vergessen, die toten Augen Noyans, der mir seine Schleuder geschenkt hat. Und ich kann Loki nicht vergessen. Der Mann, in den ich mich verliebt habe und der für all das hier verantwortlich ist.

Loki | NoaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt