Von Lokis Balkon aus sehe ich die Armee durch die Stadt schreiten. Odin vorweg, dahinter Thor und Loki, dann berittene Soldaten und zum Schluss die Fußsoldaten. Die Stadt ruft und feiert, schwenkt Fahnen. Ich kann meinen Blick nicht abwenden, als ich den Zauberstrahl sehe, der alle fortbringt und die Bewohner der Stadt zurück an ihre Arbeit gehen. Es sind weitaus weniger als noch gestern. Ich seufze schwer und mache mich an meine Arbeit, Lokis Zimmer aufzuräumen, obwohl meine Bewegung schwer und träge sind.
Der Palast ist unheimlich still und die Stimmung, die vorher freudig erregt war, ist erdrückend. Es sind ihre Männer, Söhne, Brüder und Freunde, die in einen Krieg ziehen und die meisten wissen wahrscheinlich nicht einmal, warum - genau wie ich.
Nuala und Alanya sitzen schweigend in der Küche und zupfen an Brötchen. Die meisten Köche sind noch da, so auch Keto. Immerhin ist der Hofstaat noch vorhanden, unter ihnen auch Königin Frigga sowie ihre Zofen und alle anderen Edeldamen hier. Ich stelle Lokis Tablett ab und setze mich zu ihnen.
"Sie werden bald wiederkommen.", haucht Nuala und es klingt, als wolle sie vor allem sich selbst beruhigen. Ich greife nach ihrer Hand und drücke sie. Sie und Alanya sind meine Freunde geworden und ich spüre, wie sehr sie unter der Situation leidet.
"Jete wird bald wiederkommen.", antwortet Alanya und Nuala sinkt noch tiefer in sich zusammen.
"Heute Abend," meldet sich Keto zu Wort, "können wir in die Stadt gehen. Die Schänke der zwei Schwestern sollte offen sein. Wenn ihr Lust habt?"
"Sehr gerne.", antwortet Alanya.
Der Tag zieht sich wie zäher Kaugummi, weil es einfach nichts zu tun gibt. Ich habe Lokis Zimmer vorbereitet, weil ich davon ausgehe, dass er jeden Moment zurückkommen könnte. Die Stadt ist erleuchtet und die Flut an Frauen jeden Alters ist enorm. Wir schlendert zu viert durch die Straßen und erreichen die Schänke.
Im Innern ist es gemütlich voll, überall sitzen Frauen an runden Tischen zusammen, vereinzelt sind ältere Männer unter ihnen und ich erkenne hier und da die Gesichter von Palastbediensteten. Wir ergattern den letzten freien Tisch und eine große und stabile Frau mittleren Alters bringt uns süßem Wein und etwas frisches Brot. Nualas Stimmung noch immer bedrückt und erst jetzt wird mir überhaupt klar, in welcher Verbindung sie zu Jete steht. Anfangs dachte ich, er sei ihr Bruder, aber Alanya hat so viele Andeutungen gemacht, dass ich inzwischen weiß, dass Nuala in ihn verliebt ist. Was ich noch nicht weiß, ist, ob er das gleiche für sie empfindet. Er wäre ein Idiot, wenn er es nicht täte.
Die Stimmung hier ist etwas ausgelassener als im Palast, immer wieder wird an anderen Tischen gelacht und es werden viele Anekdoten erzählt und ich genieße diese gemütlich Runde. Es fühlt sich an, als hätte ich endlich etwas gefunden, was sich wie ein Zuhause anfühlt.
"Und dann habe ihm das Gemüse auf den Tisch geworden und gesagt: Suchst du das da?", erzählt Keto eine lustige Geschichte zu ende und wir müssen lachen. Der Wein lockert meine Zunge und ich genieße die angenehe Wärme, die er hinterlässt, seitdem ich ihn trinke.
"Oh Keto!", sagt Alanya und greift fast beiläufig nach seinem Arm. Es ist stickig hier drin und ich stecke mir meine Haare hoch, um meinem erhitzen Nacken etwas Abkühlung zu gönnen. Nuala, die mir gegenüber sitzt, betrachtet meinen Hals und ihr Blick trübt sich. Sofort greife ich mir an die Stelle, an der mir das Sklaventattoo gestochen wurde und mich so offensichtlich als Sklaven dritter Ordnung zeichnet.
"Es tut mir leid, was du alles erleben musstest.", sagt Nuala und ich glaube ihr. Ich denke zwangsläufig an alle die schlimmen Dinge, die ich, seitdem ich in Asgard bin, verdrängt habe. Ich werfe ihr ein Lächeln zu, so gut es eben geht. "Und ich bin froh, dass Loki dich gefunden und gerettet hat!", sagt Alanya.
Loki. Der jetzt irgendwo auf einem Schlachfeld steht und für unsere Sicherheit sorgt.
"War es... sehr schlimm?", fragt Keto und obwohl ich eigentlich nicht darüber reden will, lockert der Wein meinen Mund. "Ja.", antworte ich ihm und trübe damit unsere Stimmung. Nuala greift über den Tisch meine Hand und drückt sie, so wie es heute früh bei ihr getan habe.
"Noa,", sagt sie, "wenn du reden willst.. Über alles, dann sind wir für dich da. Reden hilft manchmal sehr." Sie wissen von meinen Narben, von meiner körperlichen Verfassung, als ich voller blauer Flecke und abgemagert hier angekommen bin. Ich mag es mir kaum eingestehen, aber inzwischen vertraue ich ihnen. Und ich sehe noch immer Nualas stumme Frage in den Augen, als sie meinen Rücken gesehen hat, nachdem Asgard damals angegriffen wurde. Ich kenne Nuala, sie ist neugierig, würde mich aber niemals ausfragen.
"Ich wollte ein Mädchen retten.", sage ich schließlich und kneife fast meine Augen zusammen, als ich daran denke. "Sie war jung und hübsch. Ich arbeitete in einem Stall bei einem sehr großen Haus, der von einer grausamen Frau geleitet wurde, die von uns nur mit 'Madame' angesprochen wurde. Erst später erfahren wir, dass sie ein Bordell in einer anderen Stadt leitete. Und so kam es irgendwann, dass ihr sie Kunden ausbleiben und sie für junges, frisches Blut sorgen musste, so sagte sie zumindest. Ich habe mich mit einem Mädchen angefreundet, Yola, die ängstlich war - und für die Madame nutzlos schien. Also sollte sie ins Bordell geschickt werden. Sie war noch ein Kind..." Ich schlucke, als ich an den Teil komme, der sich tief in mein Leben gebrannt hat.
"Yola weinte und die Madame schlug sie. Das hatte ich schon so oft gesehen, zu oft, also nahm ich meinen Mut zusammen und stellte mich vor sie. Dabei fing ich mir die Ohrfeige ein, sie eigentlich für Yola gedacht war." Ich atme schwer ein. "Da flippte Yola aus und schubste die Madame. Dies glich einem Todesurteil. Aber es kam leider schlimmer, als gedacht. Zwanzig Hiebe mit der Peitsche bekam ich als Strafe dafür, dass ich Yola beschützen wollte."
Alanya schlägt sich die Hand vor dem Mund und Keto sieht mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an.
"Aber es waren nicht die Hiebe, die mir schmerzten, sondern Yolas ausgeweiteter Körper, der am Nebenbaum hing."
Hass und Trauer schwillt in mir an und meine Hände zittern, als ich den Becher hebe und einen Schluck nehme.
"Und dann wurde ich zum Bordell geschickt, kam aber nie an. Wir wurden unterwegs angegriffen und ich wurde verschleppt.", sagte ich mit einem Achselzucken. Die Gesichter, in die ich schaue sind bleich. Ich qürde wohl auch so aussehen, wenn ich im behüteten Asgard aufgewachsen wäre.
"Das ist die Geschichte hinter den Narben.", sage ich leichtfertig und muss schmunzeln. "Habt ihr auch so erheiternde Geschichten?"
"Noa.. Ich.. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.", antwortet Nuala.
"Schon gut.", versuche ich es abzutun. "Es ist passiert, es ist verheilt." Trotzdem steigt mir die Galle hoch, als ich an Yolas zarten Körper denke, die weit aufgerissenen Augen und all das Blut. Ich hatte nie gedacht, dass es so viel sein könnte.
Zwar versuchen wir noch ein paar zwanglose Gespräche zu führen, aber in Wirklichkeit ist der Abend mit meiner Geschichte vorbei. Ich werde das nächste Mal wohl eher nicht aus meinem Leben erzählen.
Der Palast ist erschreckd leise, als wir ihn betreten und uns verabschieden. Ich schleiche durch die leeren Korridore, in denen keine Solaten mehr stehen und betrete Lokis Zimmer. Alles sieht noch genau so aus, wie ich es verlassen habe. Obwohl mir nicht kalt ist, schlinge ich meine Arme um mich und husche schnell in mein Zimmer, als würde mich ein Geist, sein Geist, hier erwischen. Es dauert eine Weil, bis ich einschlafe. So vieles geht mir durch den Kopf: Der Abend in der Schänke, die Soldaten, die feierlich Asgard verlassen haben, Yola und all die anderen Mädchen, die einen kurzen Teil meines Lebens neben mir lebten. Und Loki. Vor allem Loki, der irgendwo kämpft und nicht hier ist, um mir arrogante und sinnlose Aufgaben zu geben. Und mein Herz verzerrt sich so sehr nach ihm, dass ich mir blöd vorkomme. Trotzdem greife ich nach seinem Kissen, drücke es an mich und versuche alles auszublenden, und ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.
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Loki | Noa
Fanfiction"... Im ewig gleichen Takt meines Alltags hieve ich das Tablett gegen meine Hüfte, um die schwere Tür zu seinen Gemächern zu öffnen. Was mir anfangs noch schwer fiel, geht inzwischen von leichterer Hand und es macht mir Angst, dass ich mich fast all...