"Halte dich fern vom Nebel, denn der Nebel bedeutet Tod."
Es war mitten in der Nacht, als Männer die Tür zu meinem Zimmer im Schloss aufrissen. Sie überraschten mich schlaflos, als meine Tränen längst noch nicht getrocknet waren. Die Männer schrien mich an, packten mich. Lediglich bekleidet in meinem Nachthemd, schleppten sie mich heraus. Ich wusste nicht, was sie vorhatten, als sie mich aus dem Schloss des Königreichs Hallgar zerrten. Sie schlugen mich und zogen mich weiter. Anfangs wehrte ich mich noch, aber ich war zu müde, zu schwach, nach allem, was vorher passierte. "ENRI...NEIN! ENRI?" Ich rief verzweifelt nach Prinz Enrig, dem Kronprinzen von Hallgar, den ich schon mein ganzes Leben kannte. Rief nach seiner Hilfe. Aber er war nicht da. Es fühlte sich an, als hätte man mir mit bloßen Händen das Herz rausgerissen. Es stach und brannte in meiner Brust und meine Augen füllten sich mit salzigen Tränen, als ich Enri in dieser Dunkelheit nicht fand. Er war nicht da. Die Männer zerrten mich in den Nebel, aber er war nicht da.
Im gleichen Moment, als ich ihren festen Griff plötzlich nicht mehr auf mir spürte, fiel ich schon auf den kalten, modrigen Waldboden. Es roch faulig, feucht und sauer. Und doch strahlte der weiche Waldboden eine willkommende Ruhe, einen Platz der Rast, aus, verglichen mit dem langen Weg, die Härte, der Stunden zuvor. Doch diese Ruhe war gefährlich, trügerisch. Ich konnte mich keinen Zentimeter mehr bewegen. Wo war ich? Wie weit hatten sie mich in den Nebelwald gebracht? In welche Richtung liefen sie jetzt? "Huora" hörte ich die sich entfernenden Stimmen rufen "Huora" und ich wusste, was sie damit sagten. Sie machten es mir auch vorher schon klar, als sie mich schlugen, immer wieder, Tritte auch an Stellen, an denen ich bereits verletzt war, nur um ganz sicherzugehen, dass ich den Nebel nicht mehr verlassen würde.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, ich hatte kein Gefühl mehr. Mehrere Male verlor ich das Bewusstsein. Oder schließ ich bloß aus Erschöpfung ein?
Es wurde gefährlich still im Wald. Die Stille war nie ein guter Vorbote, nicht dort wo sich der Nebel ausbreitete, wo er dicht unter den Baumkronen hing und der saure, schweflige Geruch am stärksten war.Es gab viele Erzählungen, Mythen oder Annahmen über den Nebel und den Nebelwald. Als ich noch ein Kind war, war er kaum ein Schleier. Man hätte schon tief in den Wald, weit über die Grenzen Hallgars hinaus laufen müssen, um seinen Ursprung zu finden. Damals war der Nebel so wenig bedrohlich, dass niemand dies versuchte. Was ihn schlussendlich verursachte, das wusste niemand, gleichwohl die vielen Bewohner der vier Königreiche, die um den Nebel herum angrenzten, die der Nebel allmählich zu verschlingen drohte, viele Vermutungen anstellten.
Der Nebel, er wuchs, breitete sich aus, immer weiter über unsere Länder. Manchmal wirkte er so, als würde er leben, als würde er atmen. Wie eine große Lunge dehnte und streckte er sich, nur um im nächsten Moment wieder seine Grenzen zu verschieben. In den letzten Jahren breitete er sich sogar über die Waldgrenze hinaus aus. Er vernichtete viele unserer Farmen und Dörfer, ließ die Erde darunter faulen und nichts Nützliches mehr wachsen. Aber der Nebel selbst war nicht das Schlimmste. Er war nur der Vorbote für die eigentliche Vernichtung. Die, die im Nebel selbst lauerte, dort, wo er am dichtesten war.
Es waren die Kreaturen, die den Menschen die größte Angst machten. Kreaturen, die verhinderten das man wieder lebend aus dem Nebel hinauskommen würde. Kreaturen, die niemand so wirklich beschreiben konnte, denn die, die sie sahen, kamen für gewöhnlich nicht mit dem Leben davon.
König Andor, Regent von Hallgar und Prinz Enrigs Vater, vertrat den Glauben, dass man den Nebel mit menschlichen Opfern besänftigen konnte. Er ließ niemanden in den Nebel werfen, den er für unschuldig hielt. Wurdest du für etwas verurteilt, war es dein Schicksal, das Königreich von Hallgar vor dem weiteren Ausbreiten des Nebels zu schützen. Ich weiß nicht wie viele seitdem ihre Leben im Nebel verloren haben. Schuldig oder nicht. Schuldig oder vorschnell verurteilt. Der Nebel breitete sich dennoch in all diese Jahren weiter aus. Und er würde es auch noch nach meinem sinnlosen Tod tun. Bei Firinn, ich wusste, mein Tod würde keinen Unterschied machen!
Die Kälte legte langsam ein Taubheitsgefühl auf meinen Körper. Ich spürte mich kaum noch selbst. Vielleicht war es das viele Blut, das ich verlor, vielleicht auch die Menge an schwefeliger Luft, die ich einatmete, vielleicht gab mein Körper auch einfach langsam auf. Es war, wie als hätte sich der Nebel bereits durch mein Gehirn gefressen, meine Sinne vernebelt. Meine Augen bekam ich schon seit vielen Minuten nicht mehr auf. War es ein Traum, war ich schon tot, war ich noch wach? Ich konnte es kaum noch unterscheiden, als ich auf einmal Zischen und Kratzgeräusche hörte. Mein Herz schlug wieder schneller, auch wenn ich die Schwere jedes einzelnen Schlages deutlich in meiner schmerzenden Brust spürte. Ich spürte wie das Adrenalin es wieder voran trieb.
Es folgte ein tiefes Grollen hinter den Bäumen und ich nahm Bewegung um mich herum wahr, obwohl der weiße Nebel mir keinen halben Meter Sicht ließ. Heftige, schnelle Bewegung. Was es war, ich wusste es nicht aber es fühlte sich groß an. Ich blieb ganz still und machte mich bereit. Ich war bereit. War ich das? Wie bereit konnte man sein so zu gehen? Knurren, lautes Knurren und dann? Wieder Stille. Was war das? Wo war es? Während ich weiter in diese laute Stille lauschte verlor ich abermals das Bewusstsein. Dunkelheit. Schweres schwarzes NICHTS.
Das nächste an das ich mich erinnerte, als mich der dunkle Mantel über meinen Sinnen zu einem Teil wieder freigab, war, wie etwas mich über den Waldboden schleifte. Ich spürte Zähne, große Zähne. Fangzähne, aber sie bohrten sich nicht durch mein Fleisch, sie lagen ganz sanft um meiner Körpermitte. Meine Füße trafen immer wieder auf Äste und Steine, wurden von ihrem Stoß abgelenkt und ließen meine Beine in alle Richtungen baumeln. Mit meinen Händen konnte ich manchmal das feuchte Moos unter mir spüren. Und der heiße Atem des Wesens, traf warm auf meinen Körper zusammen mit hinaustropfendem, zähen Speichel. Ich spürte Fell unter meiner Hand, immer dann, wenn auf der gleichen Seite das Bein des Wesens nach vorne schnellte.
Es fühlte sich nicht schrecklich an, es war behutsam und wenn es so gewollt hätte, es hätte mich vermutlich schon längst fressen können. War das alles überhaupt echt? Vielleicht auch nur ein Fiebertraum, oder es handelte sich um einen Höllenhund, der kam, um mich tief in den Abgrund zu ziehen. Doch ich hatte keine Angst mehr und mein Herz schlug langsam. Ich verlor meine Orientierung völlig, kannte kein Oben und kein Unten mehr. Aber die Angst, sie war fürs Erste erstickt.
DU LIEST GERADE
Nebelwaldjäger
FantasyAls Eelin schwer verletzt auf dem Boden des Nebelwaldes zurückgelassen wird, ist ihr bewusst, dass sie dort sterben soll. Niemand überlebt den gefährlichen Nebel, der sich bereits seit vielen Jahren zwischen den vier Königreichen, der Menschen und F...