Kapitel 9

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"Kreaturen sind es, die wir im Nebel am meisten fürchten. Möge Neart und Savail, unsere Geister der Stärke und Sicherheit, dich vor ihren Krallen und Bissen schützen."

Meine Beine flogen über den Waldboden in einer Geschwindigkeit, in der ich mit Sicherheit längst schwer gestürzt wäre, hätte er mir nicht jedes Mal in der richtigen Sekunde Halt gegeben. Er zog mich mit festem, sicheren Griff an der Hand, weiter durch den Wald, der noch völlig klar vor uns lag. Doch hinter uns formierten sich bereits schweflige Nebelschwaden zu einer weißen, dichten Bedrohung, die uns schnell einholte.

Baumstämme, Felsen und Steine zogen eilig und gefährlich nah an uns vorbei, doch er navigierte uns gekonnt über und zwischen allen Hindernissen hindurch. Mir stieg der saure, schweflige Geruch bereits stärker in die Nase, meine Augen fingen an zu brennen und mein Herz schlug so schnell, dass es mir fast aus der Brust riss. Ich sah erste, weiße Schlieren des Nebels zwischen unseren Beinen aufsteigen. Die Sicht vor uns verschwamm langsam aber stetig und mit jedem Atemzug fühlte ich den sauren, brennenden Dunst sich weiter, schmerzend in meinem Brustkorb ausbreiten.

Gerade als ich dachte, ich würde die Kontrolle über meine Beine verlieren und meine Lungen gleich zerbersten, erkannte ich schemenhaft den erlösenden Anblick der Hütte und die Lichtung, auf der sie stand, in der Ferne aufblitzen. Doch der weiße Nebel verschlang immer mehr von meiner Hoffnung und der Schmerz in meiner Brust wurde unerträglich. Der Wald war still, seltsam still, als wären wir plötzlich in einem schalldichten Raum gelangt und ich hörte jeden einzelnen unserer beschleunigten Atemzüge betont. Diese Stille kannte ich nur zu gut, ich hatte sie bereits einmal erlebt. Atmen Eelin, atmen.

Ich versuchte mich zu beruhigen, aber jedes der Härchen auf meinem Körper hatte sich inzwischen aufgestellt und da, wo die Kleidung meine Haut nicht bedeckte, rannen bereits dicke Tropfen des klammen Dunsts herunter. Auch zwischen meiner und seiner Hand, die mich so fest hielt. Sein Griff verstärkte sich nochmal, um nicht abzurutschen.

Kurz vor der Lichtung war der Nebel bereits so dicht, dass ich kaum noch zwanzig Meter weit sehen konnte, selbst die Umrisse der Hütte waren in weißer Dunkelheit schwer zu erkennen, ich versuchte mir krampfhaft die Richtung einzuprägen, in der sie lag. Wir hatten gerade einen Fuß auf die Lichtung gesetzt, als das Knacken von Gehölz und die Vibration des schweren Waldbodens unter den Klauen schnell heran pirschender Kreaturen einsetzte, lauter und immer lauter. Im hohen Tempo kamen sie näher und ihre vibrierende Präsenz war unter den Füßen zu spüren. Ich hielt die Luft an, versuchte den Abstand abzuschätzen, meine Sinne arbeiteten auf Hochtouren.

Er stoppte und drehte sich ruckartig in die Richtung, aus der der dichtere Nebelsee weiter auf uns zufloss, schob mich hinter sich und zog sein Schwert.

"Lauf weiter zur Hütte", befahl er laut und bestimmt. Er lief rückwärts und stieß mich mit seiner Bewegung in die richtige Richtung. Ich stolperte nach vorne, rannte mit letzter Kraft weiter, doch der Nebel war inzwischen überall so dicht, dass ich die Hütte nicht mehr sehen konnte, die Richtung nur noch erahnte und ich bekam Panik, jeden Moment meine Orientierung zu verlieren.

Nichts mehr war zu erkennen, ich konnte lediglich hören, fühlen, schemenhaft wahrnehmen, was um mich herum passierte und ich lief in die einzige Richtung, die mir logisch erschien während ich donnernden Schritte spürte und hörte, wie sein Schwert immer wieder durch die Luft und dann durch schmatzendes Fleisch und knackende Knochen schnitt, während das Fauchen und Brüllen der Kreaturen unerträglich laut dröhnte.

Etwas prallte gegen mich. Ich schrie auf und stolperte, fiel auf den Boden. Meine langen Haare flogen mir wild übers Gesicht. Ich versuchte mich so schnell aufzurappeln, wie ich nur konnte. Meine Arme hielt ich schützend vor meinem Körper, während ich mich in alle Richtungen umdrehte, nach einem plötzlichen Angriff suchend. Nicht einmal das Messer war mir geblieben. Er nahm den Beutel an sich, bevor wir gemeinsam los rannten. Doch jetzt war er nicht mehr neben mir, er hielt die Kreaturen an einer anderen Stelle auf. Ich blickte panisch in alle Richtungen, in der Hoffnung auch nur etwas zu erkennen, während ich gegen das Brennen in meinen Augen kämpfte.

NebelwaldjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt