Kapitel 28.2

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Wenig später war Riian wieder verschwunden, während wir anderen noch immer verschiedenen Dingen im Kommandosaal nachgingen. Lorrn und Kinnon besprachen eine mögliche, nächste Route auf einer Landkarte und markierten die zuletzt bekannten Nebelbewegungen. Tarra saß mir gegenüber.

"Ich kann mich nicht auf das Buch konzentrieren, wenn du mir ständig Fragen stellst." In der Zwischenzeit hatte ich mir ein paar Bögen Papier geholt, auf denen ich mir Notizen machte.

"Ich verstehe die alte Sprache so schon kaum. Jedes zweite Wort ist mir unbekannt. Es ist wie ein Lückentext. Meine Stirn legte sich in Falten.

"Mir geht es genauso."

Ich schaute sie verwundert an. Sie spielte mit einem Stift auf dem Tisch, ließ ihn zwischen den Fingern drehen und stupste ihn immer wieder an. Sie machte mich ganz nervös.

"Die alte Sprache hat ein großes gemeinsames Vokabular aus allen Dialekten. Gemeinsam bekommen wir die Texte bestimmt besser entschlüsselt!" Als Tarra bemerkte, wie kritisch ich ihr nervöses Spiel beobachtete, lehnte sie sich lässig auf dem Stuhl zurück. Es dauerte nicht lange, dann tippten ihre Finger auf der Tischkante herum.

"Das heißt also, du hast deine Mutter wirklich nie kennengelernt?"

"Nein." Ich schaute nicht hoch, während ich Tarra antwortete. "Soviel ich weiß hat sie mich bei meinem Vater abgesetzt. Danach war sie weg. Mein Vater hat nicht über sie gesprochen und ich habe irgendwann aufgehört zu fragen." Ich blätterte noch ein paar Mal hektisch um. Ich hoffte bald in Ruhe weiterlesen zu können, aber Tarra ließ nicht locker.

"Und Freunde? War da niemand am Hof?" Ihr Blick hatte etwas Besorgtes an sich. Ich seufzte.

"Nein, nicht wirklich. Da gibt es niemanden, den ich vermisse. Als ich mich für die Kampfausbildung entschied, hatte ich nur Jungs um mich. Es gab die, die nicht begreifen wollten, was ich dort überhaupt zu suchen hatte und die, die Enri sorgfältig von mir fern hielt." Ich lachte. "Meinen Platz mit anderen hatte ich nur im Ring. Jugendliche reden gern. Besonders junge Mädchen, die dann sowieso nichts mit mir anfangen konnten. Es gab viele Gerüchte. Ein paar davon haben sich später ja bewahrheitet." Ich zuckte mit den Schultern. "Ich bin froh, dass mein Vater nichts mehr von den ganz dummen Ideen mitbekommen hat."

Er hätte mir die Hölle heiß gemacht, hätte er das mit Enri und mir je erfahren.

"Wieso hielt er die anderen Jungs von dir fern?"

Ich schaute wieder zu ihr hoch. Tarra sah mich fragend an.

"Ich weiß es nicht. Schätze er mochte es einfach nicht. Es waren eben seine Freunde, nicht meine. Er zog eine Grenze und ich hab sie respektiert. Ich hatte ja ihn. Ich brauchte niemand anderen." Wie falsch sich das anhörte, bemerkte ich erst, als ich es schon ausgesprochen hatte.

"Klingt ja nach einem richtig guten Freund." Die Ironie in Tarras Stimme war nicht zu überhören, aber ich ignorierte es. Was sollte das auch? Dass Enri mich im Stich gelassen hatte, war nun ausreichend bekannt. Wieso noch weiter in der Vergangenheit graben?

"Das heißt, er war der einzige Mann in deinem Leben?"

"Nein und du bist wirklich sehr neugierig!" Ich schnaufte etwas genervt. "Da gab es später noch jemanden in dem Dorf, in dem ich dann alleine gewohnt habe." Da mich Tarra nicht weiterlesen ließ, fing ich an, ein paar Schnörkel zwischen meine Notizen zu kritzeln.

"Oh, was ist mit ihm?"

"Er ist tot." Meine Schnörkel bekamen noch ein paar Blätter. Wenn ich erst mal anfing, zeichnete ich wirklich gerne.

Tarras Mund klappte erschrocken auf und ich sah aus dem Augenwinkel, wie Lorrns und Kinnons Köpfe gleichzeitig zu mir schnellten.

"Oh bitte ihr zwei, wenn ihr schon eure Ohren spitzt, dann macht es doch weniger auffäll– "

NebelwaldjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt