Eine Woche später stand das Winterfest in Erlendor an. Ich begriff immer noch nicht, wie der König dieser absurden Idee überhaupt zustimmen konnte. Was hätte ich nur auf einem Fae-Fest verloren? Eigentlich sorgte ich mich nicht, die meisten der erlendorianischen Gäste waren mir sowieso noch nie vorher begegnet. Mir wurde bloß nahegelegt, mich den Abend lang von Riian fernzuhalten, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen oder besser gesagt, nicht die Frage aufwerfen zu lassen, wer ich denn sonst war.,
Tarra glaubte, ich hätte einen lockeren Abend verdient, um auf andere Gedanken zu kommen. Doch ich war noch nie der Mensch, der in einem vollen Ballsaal hätte entspannen können. Ich fragte mich, ob es Riian sogar lieber war, dass ich hin ging. Dort, wo er und seine Leute mich im Auge hatten, statt alleine zu sein, mit dummen Ideen.
Den späten Nachmittag, vor der Veranstaltung, hatten Tarra und ich gemeinsam im Kommandosaal verbracht. Die Sonne schien durch die Fenster und ließ mich tanzende Staubkörner in der Luft erkennen. Tarra holte eine Rune aus einem Kästchen, das in einem der Regale zwischen den Büchern verstaut war. Sobald sie den Deckel öffnete, hörte ich sie surren. Als ich Tarra fragte, ob ihr das Geräusch nicht auch Kopfschmerzen machte, schaute sie mich erschrocken an. Offenbar war sie bisher die einzige gewesen, die das Surren der Runen fühlte. Tarra war sichtlich irritiert, doch widmete sie sich trotzdem schnell wieder ihrem Vorhaben, die Rune mit ihrer Magie aufzuladen.
"Eigentlich ist es gar nicht so schwer." Sie legte sich einen der speckigen, runden Steine in die Handfläche und schaute mich aufmerksam an. "Ich manifestiere mein Gefühl und eine Vorstellung von dem, was es tun soll. Dann visualisiere ich, wie es in den Stein fließt. Kurz darauf fühle ich etwas, das sich so ähnlich anfühlt, wie wenn sich ein Verschluss schließt. Wie ein Klacken, nur es klackt nicht. Es schließt." Tarra schüttelte den Kopf, als würde sie nicht die richtigen Worte dafür finden. "Man weiß einfach, wenn es funktioniert hat!"
Sie ließ den Stein noch einmal in der Hand drehen, bevor sie schließlich ihre Augen schloss. Ich traute mich nicht, sie dabei zu stören. Eine Minute später ließ sie ihn in einen Samtbeutel rutschen.
"Das ist es. Wenn du später die Rune berührst, siehst du für etwa vier Stunden aus wie eine von uns!" Ich nahm den Samtbeutel zu mir und betrachtete ihn von allen Seiten. Eine von ihnen. Nur so viel trennte mich also von der Fae-Welt?
Mir war klar, für was diese Art von großen Feste gut waren. Der Adel Erlendors stimmte sich zusammen mit dem Hofstaat auf den Empfang der anderen Königreiche zum Gipfeltreffen ein. Adelige Erlendorianer frönten geheuchelte Einigkeit und diskutierten hinter vorgehaltener Hand die auf sie zukommenden politischen Konflikte. Doch das war nur eine Seite. Erlendor brachte seine heiratsfähigen Töchter mit.
Riian war der begehrteste Junggeselle in seinem Land und zumindest in Menschenjahren gerechnet eine Hochzeit längst überfällig. Zwar ließen sich Fae vermutlich, mit ihrer lang anhaltenden Jugend in der Mitte ihrer längeren Lebenserwartung, mehr Zeit, doch eine wachsende royale Familie war schon immer und überall ein starkes politisches Zeichen gewesen. Vielleicht wäre eine baldige Hochzeit sogar die Hoffnung, die das Volk von Erlendor gut gebrauchen konnte, um den brodelten Konflikten geeint entgegenzutreten. Diese Feste waren so viel mehr Politik, als sie den Anschein erwecken wollten. Vielleicht war genau das ja mein Problem.
Zumindest war ich sehr aufgeregt, endlich auf die andere Seite des Schlosses zu dürfen. Der Ballsaal war riesig und herrlich opulent mit zarten Stoffbahnen, Girlanden und Winterblühern, geschmückt. Ein blumiger Geruch lag in der Luft. So langsam hatte ich mich zwar an die Extravaganz von Erlendor gewöhnt, aber das Winterfest ließ alles in einem noch kostbaren Glanz erscheinen. Zu schade, dass all dieser Reichtum niemand mehr nutzen würde, wenn sich der Nebel irgendwann vielleicht auch das holen würde.
DU LIEST GERADE
Nebelwaldjäger
FantasyAls Eelin schwer verletzt auf dem Boden des Nebelwaldes zurückgelassen wird, ist ihr bewusst, dass sie dort sterben soll. Niemand überlebt den gefährlichen Nebel, der sich bereits seit vielen Jahren zwischen den vier Königreichen, der Menschen und F...