"Nachts siehst du den Nebel nicht kommen, aber du riechst ihn, fühlst ihn. Schwefliger, saurer Dunst, der die Lungen beschwert und in den Augen brennt. Wenn es dann still wird, sind sie ganz nah!"
Der Nebelwaldjäger blieb nicht mehr lange in der Hütte und stellte mir zum Glück auch keine weiteren Fragen. Wohin er ging und was er dabei trieb, wusste ich nicht. Aber ich dachte sehr wohl darüber nach, ob er dabei war, anderen Leid zuzufügen und ich hasste diesen Gedanken. Das war es, was die Menschen erzählten, dass Nebelwaldjäger Plünderer waren, die den anderen, die eh schon viel zu viel durch den Nebel verloren hatten, noch das Übrige nahmen. Die Rede war darüber hinaus auch von tiefen persönlichen Abgründen, die durch den Nebel zu Tage kamen. Nicht selten sprachen die Menschen von Opfern, die missbraucht und getötet wurden im Schleier des Nebels. Und wenn es etwas gab, das ich am meisten hasste, dann waren es Männer, die ihre Macht ausspielten.
Mema verbrachte den Rest des Tages nur noch damit, mich mit allen wichtigen Dingen in der Hütte vertraut zu machen. Sie legte mir ein paar Kleidungsstücke von sich heraus, Waschlappen und Handtücher, aber auch Verbandsmaterial. Es gab eine kleine, abgetrennte Waschecke in Richtung der Hintertür zum Garten, wo sich auch das größere Frischwasserfass befand. Das Plumpsklo lag zwar außen, war aber ebenfalls in dieser Ecke durch eine Tür mit der Hütte verbunden. Ein Brunnen im Garten versorgte die Hütte mit Wasser. Aber Mema achtete stets darauf, das Fass immer gut gefüllt zu halten, solange die Nebelbedingungen um die Hütte gut standen. Für den Fall, es würde sich über mehrere Tage verschlechtern, würde das Wasser nicht so schnell knapp werden. Die Hütte war für den Ernstfall wirklich gut ausgestattet und ich fragte mich, wie viele Tage man es zur Not schaffen würde und wie gut andere Familien in den vielen Dörfern ausgestattet waren, bevor der Nebel sie unwiderruflich überrannte. Hier schien der Nebel ja bisher zum Glück wenigstens regelmäßig Passagen erneut freizugeben.
Es gab immer zusätzliches Holz und auch Nägel, um Fenster und Türen von innen zu verstärken. Mema unterrichtete mich darüber, welche Verriegelungen wir geschlossen hielten, wenn der Nebel zu nah kam und welches Klopfzeichen sie mit dem Nebelwaldjäger hatte, sollte er während dem Nebel in die Hütte gelangen müssen.
An diesem Tag war kaum Nebel zu erkennen, doch ich wusste, wie schnell sich das ändern konnte und es war bereits dunkel, sodass durch die Fenster erst recht nichts zu sehen war.
Ich konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Mema war bereits auf die Hocheben geklettert. Es schien ihr Mühe zu machen hoch zu kommen und ich nahm mir fest vor, dass ich sobald wie möglich mit ihr das Bett tauschen würde. Das schlechte Gewissen machte mir zwar zu schaffen, aber das war nicht der Grund für meine Schlaflosigkeit.
Ich schreckte bei jedem unbekannten Geräusch hoch. Jedes Mal wenn ich die Augen schloss, dachte ich an die Ereignisse der letzten Nacht und es quälte mich die Frage, was in dieser Zeit im Nebel passiert war, als ich nicht mehr ganz bei Sinnen war. Außerdem versuchte ich mir die Nahärra vorzustellen und kam nicht drum herum mich zu fragen, ob ich einem begegnet war und wenn ja, warum es mich verschont hatte. Er hatte Spuren um mich herum gesehen und dann war da dieser Traum von einem großen Tier, und Zähnen. War es das? War ich einem Nahärra so nah gewesen? Ich versuchte mir mehr Einzelheiten aus der vergangenen Nacht in Erinnerung zu rufen, aber es klappte nicht. Und die vielen Gedanken an diese Kreaturen trugen einfach nicht dazu bei endlich einschlafen zu können.
Der Wind ratterte am Dach, an der Veranda und überall sonst, wo er sich rund um die Hütte verfing. Durch das Fenster ließ sich nichts erkennen. Die Sicht war in tiefem Schwarz getaucht. Mir war trotz Decken eiskalt. Der Wind heulte auf. Komm schon, Eelin. Ich atmete aus, versuchte ruhiger zu werden, aber alles machte mich nur noch nervöser.
Ich war schon am Abend einmal mit Memas Hilfe kurz durch die Hütte gelaufen, als sie mir alles zeigte. Sie bestand darauf am Anfang bei mir zu stehen, falls ich ohnmächtig werden würde. Ich hatte wohl viel Blut verloren und sollte es langsam angehen. Ich stand auf, neben meinem Nachttisch hing ein Spiegel. Ich zündete die Öllampe an und betrachtete mich. Ich erkannte mich kaum wieder. Mein Gesicht war geschwollen. Ein großer Bluterguss schimmerte tiefblau unter meinem rechten Auge und entlang meiner rechten Gesichtshälfte. Ich fuhr vorsichtig mit den Fingerspitzen über die empfindliche Haut. Meine dunkelbraunen Haare fielen in großen Wellen über meine Schultern. Mein Spiegelbild schaute mich mit traurigen braunen Augen an, die im Licht der Öllampe golden schimmerten. Ich hatte ein beiges Leinennachthemd an, das mir Mema gegeben hatte. Es fiel locker über meinen geschwollenen Körper. Wie konnte ich mich nur in diese Lage bringen? Hatte ich nicht genau aus diesem Grund schon von Jahren einen Schlussstrich gezogen? Es half nichts, Danadas hatte offenbar noch mehr mit mir vor und ich würde auch das schaffen.
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Nebelwaldjäger
FantasyAls Eelin schwer verletzt auf dem Boden des Nebelwaldes zurückgelassen wird, ist ihr bewusst, dass sie dort sterben soll. Niemand überlebt den gefährlichen Nebel, der sich bereits seit vielen Jahren zwischen den vier Königreichen, der Menschen und F...