Kapitel 34.1

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Triggerwarnung: Blut, Knochen, Setting eines vergangenen Nahärra Angriffs grafisch beschrieben. Es werden Vergleiche zu Krieg gezogen.

"Hey Lenni!"

"Hey Süße, alles gut?"

Der Winter hatte Erlendor mittlerweile fest im Griff. Die kalte Morgenluft brannte in meiner Lunge. In der Nacht hatte es etwas geschneit. Kein Wetter, um den Felspfad im schnellen Tempo zu laufen und doch tat ich es. Jeden Morgen seit mehr als einer Woche.

"Passt! und bei dir?"

"Wie immer! Du warst schnell heute. Warst du ganz unten?"

"Jipp!"

"Du machst gute Fortschritte!" Lenni nickte mir zu und ich fühlte den Stolz, wie er als warmes Gefühl trotz dieser Kälte in mir aufstieg. Ich machte Fortschritte.

"Danke, lieb von dir! Bis Morgen!" Ich schenkte Lenni ein Lächeln und lief zügig weiter vom Tunnel zurück zum Westflügel.

Am Kommandosaal angekommen stieß ich die Tür auf und nickte allen zu, bis mein Blick bei einer Person hängen blieb.

"Tarra, du musst dringend damit aufhören", sagte ich brummend, als ich in den Raum schritt und die Tür hinter mir zu warf. Nachdem ich mich in meinem Zimmer kurz frisch gemacht hatte, war ich in ein lockeres Wollkleid geschlüpft. Die Temperaturen waren weit gefallen und trotz Training fühlte ich mich ordentlich durchgefroren. Im Kommandosaal herrschte dagegen eine wohlige Wärme. Jemand hatte sich offenbar gerade erst um das Feuer gekümmert. Frische Holzscheite lagen darin. Das war aufmerksam.

"Was mach ich denn?"

"Du weißt genau, was du tust. Dein mitleidiger Blick. Es geht mir wieder gut!"

Tarras Fähigkeit Firrin zu channeln, hatte sich in der Woche nach meinem Zusammenbruch als Fluch herausgestellt. Offenbar war es ihre neue Lieblingsbeschäftigung regelmäßig bei mir nachzufühlen. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke kreuzten, war es wie in einen Spiegel zu schauen und meine Gefühle durch ihren Gesichtsausdruck reflektiert zu bekommen. Es machte mich einfach nur wahnsinnig. Ein Grund, warum ich mich von ihr entfernt hatte und insgeheim daran arbeitete, mich in ihrer Nähe möglichst gelassen zu geben. Ich wollte niemanden so nah an meinen Gefühlen haben. Meine Gefühle gehörten mir, keinem anderen gingen sie etwas an.

"Es tut mir leid!", stöhnte Tarra empört auf und klatschte lautstark ihr Buch zu. "Es war nicht meine Absicht!" 

Leider machte es nicht besser, dass Tarra es jedes Mal als einen Angriff wertete, wenn ich sie darauf aufmerksam machte. Wir schienen beide zu empfindlich zu sein. Abstand war das Einzige, das uns in diesem Moment half.

"Und nein, es geht dir nicht gut!"

"Tarra!", warnte Riian. Er hielt sich weiter hinten im Raum zwischen den Regalreihen auf und hatte uns offenbar gehört. 

Er war nicht viel besser. Seit Tagen behandelte er mich wie ein rohes Ei. Lorrn hatte seine Wut noch am gleichen Tag zu spüren bekommen, nachdem ich mich nach meinem emotionalen Zusammenbruchs endlich wieder beruhigt hatte. Seiner Meinung nach, war Lorrn im Training mit mir zu weit gegangen. Das ganze eskalierte in einem heftigen Streit zwischen beiden. Tage später hatte mir Kinnon gestanden, dass das Training zwischen den Männern seitdem sehr viel spannungsgeladener war. Mir ging es einfach nur gewaltig auf die Nerven, dass jeder einzelne von ihnen dachte, alles besser zu wissen. Besser als ich selbst.

Riian kam hinter den Bücherregalen hervor. Lorrn und Kinnon saßen wie immer auf ihren Lieblingsplätzen.

"Wie war dein Lauf?"

NebelwaldjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt