Es dauerte noch über eine Stunde, bis Klaus den Moment wiedererlebte, auf den er hingefiebert hatte. Obwohl der Mond nicht einmal halbvoll war, zeichneten sich die Umrisse der Pyramiden gegen den Sternenhimmel ab. Er hielt an und stellte den Motor aus. Ohne auf die anderen zu achten, stieg er aus und ging den mächtigen Bauwerken einige Schritte entgegen. Links, in weiter Ferne, erhellten die Lichter der Metropole den Himmel. Die anderen stiegen auch aus und bewunderten still das nächtliche Panorama. Tom legte seinen Arm um Nikos.
„Nikos Tours. Immer wieder," flüsterte er.
Serhat sagte leise etwas auf Arabisch zu Oberst Al-Numeiri, und gemeinsam entfernten sie sich. Tom hatte ihn verstanden und folgte ihnen zusammen mit Nikos. Sie knieten sich neben die beiden Ägypter und verrichteten mit ihnen das Nachtgebet, nachdem sie sich Gesicht und Hände mit dem feinen Sand gereingt hatten. Fred sah ihnen aus der Ferne zu und fragte sich, wie gut oder wie wenig er seinen Untergebenen Tom eigentlich kannte.
Eine halbe Stunde später erreichten sie das Studentenheim südlich des Zoos von Gizeh. Alle außer Fred und dem Oberst stiegen aus und verabschiedeten sich.
„Serhat, ich lasse den Herrn Kollegen um acht Uhr am Hotel abholen," sagte A-Numeiri. „Mustafa bringt ihn mit Deinem Auto her. Ich wollte Euch eigentlich morgen begleiten, aber es ist wohl besser, ich behalte im Auge, was mit diesem schändlichen Feldwebel geschieht. Tom, noch ein Wort zu Dir. Du hast für Deinen Bruder gekämpft, wie ich es von meinem Sohn erwarten würde, wenn seinem Bruder etwas derart Widerwärtiges passiert wäre."
„Danke, Herr Oberst. Was hat Noury zu erwarten?"
„Er wird aus der Armee entlassen. Ob er ins Gefängnis geht, weiß ich nicht. Ich habe meine Zweifel."
„Warum?"
„Weil Regierungen oder Armeeführungen manche Dinge lieber nicht vor Gericht ausbreiten, auch nicht vor einem Militärtribunal."
„Irgendwo habe ich das schon mal gehört," erwiderte Tom.
Serhat brachte sie in sein Zimmer und holte Nadim, der gleich einen Kollegen nebst Arztkoffer mitbrachte.
„Ha, gleich zwei Opfer," freute er sich. „Nähstunde, Bassam!"
„Muss das sein?" fragte Tom. „Reicht nicht ein Pflaster?"
„Ganz wie Du willst. Pflaster heißt große, hässliche Narbe, Nähen heißt kleine, hübsche Narbe. Was ist Dir lieber?"
„Wie viele Stiche?" fragte Tom ein wenig unsicher.
„Vier bei Dir, fünf bei Nikos," erklärte Nadim. „Habt Ihr ordentlich desinfiziert?"
„Haben wir. Also gut, nähen."
„Ist wirklich besser so," meinte Nadim. „Wir machen das noch mal schön sauber. Betäubung braucht Ihr sicher nicht. Kopf brummt auch so, oder?"
„Die Betäubung übernehme ich," bot Woody an und bastelte flugs einen dicken Joint.
Klaus assistierte den beiden Medizinstudenten, die in Praktika an ländlichen Krankenstationen genug Erfahrung in improvisierten Eingriffen gesammelt hatten. Tom und Nikos rissen sich zusammen, als sie mit Nadel und Faden zusammengeflickt wurden. Allmählich gewöhnte man sich an so etwas. So schlimm war es auch gar nicht. Serhat besorgte Essen und kochte Tee. Nach dem Mitternachtsimbiss legten sich Tom und Nikos in Nadims Bett. Der Joint entfaltete die Endphase seiner Wirkung und ließ sie augenblicklich einschlafen.
***
General Al-Kassem war ungehalten, als um sieben Uhr während des Frühstücks sein Telefon klingelte.
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Die richtigen Leute Band 9: Sorgt, dass die Wüste nicht wächst
Historical FictionIn „Sorgt, dass die Wüste nicht wächst", dem 9. Band meiner Buchreihe „Die richtigen Leute" werden Tom und seine Freunde in teilweise gefährliche Abenteuer in verschiedenen europäischen Ländern und in Afrika verwickelt. Sie begleiten den „größten Ha...