1 Prolog: Der Schattenmann

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Tom schauderte. Die Kälte des feinen Nebels kroch durch jede Ritze seiner derben, braunen Lederjacke.

„Du bist ein Schattenmann," sagte Maher mit gedämpfter Stimme.

Der Sand war feucht und nicht im Ansatz warm, so wie im Sommer. Der Betonquader am Strand vor Jannis' Haus in Agios Andreas war härter als früher, wenn Tom mit Sophia oder Nikos hier gesessen und geträumt hatte. Oder getrauert.

„Schattenmann?" fragte Tom den Nubier.

„Sie lächelt mich an," antwortete Maher leise. „Ich weiß, sie liebt mich. Aber sie ist nicht glücklich. Da ist immer dieser Schatten. Dein Schatten."

Tom seufzte:

„Ich hätte nicht herkommen sollen."

„Es ist ganz egal, wo Du bist. Dein Schatten ist hier. Er folgt Sophia. Immer. Er wird zwischen uns stehen, solange Du lebst."

Langsam schob Maher seinen weißen Umhang, der ihn noch schwärzer aussehen ließ, über der Brust beiseite. Der Dolch, den er dort versteckt hatte, hatte einen Überzug aus Reif. War es wirklich so kalt? Tom wusste, was geschehen würde, und er wehrte sich nicht. Er fühlte keinen Schmerz, als die Klinge sich elegant durch das Leder, den Stoff seines Pullis und seine Haut bohrte.

„Das ist also die Strafe," flüsterte er und starb. Der Beton wurde ganz weich und warm. Der Nebel lichtete sich. Das Licht kam von weit her. Also doch. Es gab ein solches Licht, von dem man immer wieder sprach.

„Welche Strafe?" fragte Nikos und küsste Tom, der die Augen aufschlug. Es war nicht nebelig. Auch nicht kalt. Das Bett war weich und warm. Er kuschelte sich an seinen Freund.

„Maher hat mich erstochen. Gerade eben," flüsterte Tom.

„Was hast Du getan?" fragte Nikos.

„Ich bin der Schattenmann. Er sagt, solange ich lebe, kann Sophia nicht mit ihm glücklich sein."

„Das war ein Traum, Tom. Träume sagen die Wahrheit, aber wir verstehen sie nicht immer."

„Wie meinst Du das?"

„Du musst für sie sterben," erklärte Nikos, der nicht sicher war, ob er selbst verstand, was er da sagte. „Nicht wirklich sterben, aber aus ihrem Leben verschwinden."

„Wie soll ich das tun?" fragte ihn Tom. „Es geht ihr wie mir. Ich kann sie nicht vergessen, und ich will das auch nicht."

Nikos' Stimme wurde energisch:

„Geh zu ihren Eltern. Beende Deine Verlobung. Zieh endlich einen Schlussstrich."

Tom löste sich aus seiner Umarmung. Er stand auf, durchquerte auf nackten Füßen das Wohnzimmer in der Wohnung in Bonn, wo Klaus auf dem Sofa lächelnd schlummerte, und ging ins Bad. Das Milchglas der Fensterscheibe ließ die Kraft der aufgehenden Sonne erahnen. Der Tom im Spiegel war ernst - das war er sonst nie. Da war kein Spott, kein hinterhältiges Grinsen, und auch keine Ironie:

„Heute ist ein guter Tag zum Sterben," sagte der Spiegel-Tom. „Fahr nach Piräus, gleich heute, wenn Du in Griechenland ankommst. Sag Sophias Vater, Eure Beziehung ist endgültig gestorben."

Das kalte Wasser aus der Dusche spülte Tom in die Realität dieses schönen Tages. Er würde nach Piräus fahren. Mit Sophia. Heute Abend. Der Stress der letzten Wochen war vorbei. Es war an der Zeit, Ordnung in das Chaos zu bringen.

Die richtigen Leute Band 9: Sorgt, dass die Wüste nicht wächstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt