25 Realpolitik mit Hokuspokus

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Der Bundestagsabgeordnete Högelmann nutzte die Stunde in seinem luxuriösen Hotelzimmer, um die Eindrücke der Tour durch Tripolis zu verarbeiten. Er hatte sich während der vergangenen beiden Jahre im Schuldienst intensiv in die beiden Politikfelder eingearbeitet, auf die er sich nach einem Einzug in den Bundestag spezialisieren wollte. In der Bildungspolitik hatte er durch sein Studium und Gespräche mit Experten seiner Partei eine solide Grundlage, aber die Außenpolitik, besonders die Entwicklungspolitik hatte ihm lange Nächte des Bücherstudiums beschert. Der Zweck dieser Reise war es, nach all der Theorie die Praxis und Personen von Gewicht kennenzulernen.

Hauptmann Hassans dreistündige Fahrt durch Tripolis führte ihm vor Augen, dass wenige Jahre alte Bücher angesichts der Umbrüche in Libyen völlig überholt waren. Markantestes Beispiel war die zur Moschee umgebaute Kathedrale. Auf Al-Marzoukis Befehl fuhr Hassan von einer Baustelle zur nächsten: neue Hafenanlagen, Hochhäuser für internationale Firmen, Erweiterungsbauten der Universiät, Schul- und Krankenhausneubauten, und ganze Straßenzüge mit achtstöckigen Wohnhäusern.

Die bis vor wenigen Jahren als verschlafen geschilderte Stadt war eine Boomtown, wofür laut Aussage des Hauptmanns neben den Einnahmen aus dem Ölgeschäft vor allem die weitsichtige Politik des Vorsitzenden des Revolutionsrates, Oberst Gaddafi, verantwortlich war, dessen Macht dem deutschen Parlamentarier mit einer Rundfahrt über das riesige, streng abgeschirmte Militärgelände am Rande der Hauptstadt überdeutlich vor Augen geführt wurde.

In weniger als einer Stunde würde Högelmann Oberst Gaddafi gegenübertreten - sein erstes Zusammentreffen mit einem ausländischen Staatsmann. Er nahm eine Dusche und betrachtete sich ausführlich im Spiegel, zuerst in dem knielangen Unterhemd, das er im Souk auf Hauptmann Hassans Rat hin gekauft hatte, dann in der Dschellaba. Das Spiegelbild erhöhte seine innere Anspannung.

Er inspizierte sein Gastgeschenk, einen in ein samtenes Tuch eingewickelten, prächtigen Kupferstich der Stadt Münster Ende des 16. Jahrhunderts, der ihn einen vierstelligen Betrag gekostet hatte. „Hoffentlich eine lohnende Investition," dachte er und fuhr mit Hauptmann Hassan zu der Privataudienz mit dem Staatschef.

Eine ausgesprochen hübsche, in ein weißes Gewand gekleidete junge Frau öffnete Hassan und ihm die Tür und versuchte ihn zu begrüßen:

„Herr Ho..., Hö...,"

„Högelmann."

„Ja, Herr wie auch immer, herzlich willkommen," lächelte Phil Freundin zuckersüß. „Ich bin Amira. Mein Freund Phil ist noch in einer Besprechung, er lässt sich entschuldigen. Bitte kommen Sie herein."

„Danke," sagte Högelmann, nachdem er sich einigermaßen von dem Schock erholt hatte, hier ausgerechnet auf die Leute zu treffen, die er schon im Flugzeug neidisch betrachtet hatte. „Also ist das Ihre Wohnung, ich meine Phils und Ihre?"

„Genau genommen Phils."

„Ich dachte,..."

„Kommen Sie doch erst mal rein, ich stelle Ihnen die anderen Gäste vor."

Der Politiker hatte sich das „Privatgespräch" mit dem Staatschef und seinem Premier etwas anders vorgestellt. Nicht nur, dass über zehn Personen das geräumige Zimmer bevölkerten, nicht nur dass alle bis auf das Küchenpersonal deutlich jünger waren als er. Obendrein trug mehr als die Hälfte der Leute Uniform. Seine innere Anspannung wurde zu Nervosität. Klaus bot ihm einen Platz in dem Kreis aus Sitzkissen an, und Zahira brachte ihm ein Glas Tee.

„Mit Ihnen und den ganzen Leuten hier habe ich ja nicht gerechnet," wandte sich der Politiker fragend an Klaus.

„So wenig wie wir mit Ihnen," erwiderte der ungerührt. „Daran sollten Sie sich schnell gewöhnen: wenn Herr Gaddafi Regie führt, kann man sich auf die eine oder andere Überraschung gefasst machen. Gaddafi und Premierminister Jalloud sind in einer Besprechung mit Major Tom und Major Phil. Die kommen sicher gleich."

Die richtigen Leute Band 9: Sorgt, dass die Wüste nicht wächstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt