Die Uptones wären gerne am Lagerfeuer geblieben, aber ihre Mägen knurrten. Außerdem gab Gaddafi ihnen zu verstehen, dass ihre Dienste später im Zelt noch gebraucht würden.
Der Bundestagsabgeordnete Högelmann hatte anscheinend oft „Reise nach Jerusalem" gespielt, denn er schaffte es gerade rechtzeitig, den Platz zwischen Tom und Phil zu ergattern. Soldaten brachten Schalen mit Hirsebrei, geschmortes Fleisch, Gemüse und Soßen und gossen Tee ein.
Die Hoffnung des deutschen Politikers, von seinen Sitznachbarn etwas über ihr stundenlanges Gespräch mit Gaddafi zu erfahren, wurden enttäuscht, denn im Zelt ging es ausschließlich um familiäre Themen, wobei die Tuareg jeden Hinweis auf ihre prekäre Lage vermieden. Ihr Anführer, Moudour Dayak, der auch schon den Abtransport des Reises am Flugplatz beaufsichtigt hatte und von Mole wegen des Gesichtsschleiers am Lagerfeuer nicht erkannt worden war, ließ sich die Musiker vorstellen und bedankte sich bei ihnen.
Kurz vor Mitternacht ging Gaddafi mit seinem Minister und den vier Tuareg in sein Privatzelt. Tom notierte, dass eine Voraussetzung für den Beruf des Staatschefs offenbar die Fähigkeit war, ohne Schlaf auszukommen. Er war hundemüde, und Phil und Nikos erging es nicht anders. Sie wuschen sich im Sanitärzelt und gingen noch eine Viertelstunde zum Meditieren in die Wüste. Dann legten sie sich im Mannschaftszelt auf die Pritschen. Im Dämmerlicht einer Ölfunzel sahen sie, dass die malischen und libyschen Soldaten schon alle schliefen.
Die Uptones hielten sich mit Tee wach. Keiner wusste, ob oder wann sie noch einmal spielen sollten. Högelmann, Klaus, Hamit und Manos warteten mit schweren Lidern bis halb drei morgens. Dann kamen Gaddafi, sein Minister und die Tuareg zurück und hockten sich auf die Kissen. Es gab eine neue Runde Tee, und Dayak bat Mole:
„Spielt Ihr noch ein bisschen für uns? Vielleicht kann Major Dembé auch dazukommen."
Mole schickte Klaus los, den Major zu suchen. Killer schlug vor, instrumentale Rembetiko-Stücke zu spielen. Mit dieser Stilrichtung hatten sie bei den Konzerten in Libyen den größten Applaus bekommen. Auch hier dauerte es nicht lange, bis zuerst die Tuareg und dann nach und nach alle anderen mitklatschten.
Klaus versuchte, Dembé in dem schwach beleuchteten Mannschaftszelt zu finden. Er beneidete die Männer, die hier selig schlummerten, darunter auch Tom, Nikos und Phil. Ganz hinten in der Ecke lehnte die Laute des Majors. Er tippte ihn sachte an, und Dembé sprang wie von der Tarantel gestochen auf.
Major Dembé setzte sich zu den Uptones und hörte ihnen eine halbe Minute zu, dann hob er die Hand und fragte:
„Darf ich singen?"
Die Uptones nickten, ohne ihr Spiel zu unterbrechen, und dann sang er in der Sprache der Songhai. Er passte sich perfekt Moles Akkordeonspiel an, und es war, als hätten sie schon immer zusammengespielt. Die Geschichte, die der Griot sang, war wieder eine halbe Stunde lang, und so ganz allmählich war auch bei den Uptones der Akku für diesen Tag leer.
Gaddafi schickte einen Soldaten mit einem Befehl los, und der kam mit einer Schale voller Schokoriegel zurück. Moudour Dayak, der wie seine Begleiter im Zelt den Gesichtsschleier gelüftet hatte, strahlte:
„Herr Oberst, können Sie Gedanken lesen? Mars! Ich liebe es seit dem Studium in Paris. Sie wissen, wie man Gäste verwöhnt."
„Bedanken Sie sich bei Major Phil," lächelte Gaddafi. „Dayak, es war mir eine Ehre, Sie als Gäste zu haben. Wir sehen uns am Mittag."
Endlich konnten sich alle schlafen legen - es war inzwischen vier Uhr. Mole nahm zwei Decken von dem Stapel am Eingang des Mannschaftszelts, ging zu Tom und Nikos und deckte sie zu. Es war inzwischen empfindlich kalt geworden. Dann entfaltete er die zweite Decke und legte sich zu Phil.
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Die richtigen Leute Band 9: Sorgt, dass die Wüste nicht wächst
Ficción históricaIn „Sorgt, dass die Wüste nicht wächst", dem 9. Band meiner Buchreihe „Die richtigen Leute" werden Tom und seine Freunde in teilweise gefährliche Abenteuer in verschiedenen europäischen Ländern und in Afrika verwickelt. Sie begleiten den „größten Ha...