29 Vierhundert Jahre, drei Kontinente

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Das Zeltlager nördlich von Timbuktu war ähnlich aufgebaut wie die beiden, die Tom und seine Freunde schon in Libyen kennengelernt hatten. Neben dem großen Versammlungszelt gab es ein kleines für Gaddafi und eins für den Wirtschaftsminister und den deutschen Politiker. In einem Armeezelt waren die libyschen und malischen Soldaten untergebracht, und hier sollten auch Tom und seine Freunde schlafen. Ein Küchenzelt, ein Unterstand mit einer Waschgelegenheit und einer für Pferde oder Kamele, der aber leer war, und schließlich ein abseits gelegenes „Örtchen" komplettierten die Anlage.

Der Wirtschaftsminister bat alle anderen in das große Zelt, als sich Oberst Gaddafi mit Tom, Nikos und Phil entfernte, wodurch sich Högelmanns Laune sich auf einen Tiefpunkt zu bewegte. Er riss sich mit Mühe zusammen, als ihn der Minister in ein Gespräch über die Probleme der Sahelländer verwickelte.

Die Uptones, Manos und Klaus diskutierten, was sie in den letzten Stunden gesehen hatten. Von der katastrophalen Dürre südlich der Sahara wurde in Europa gelegentlich berichtet, aber erst ihr Flug auf Reissäcken und Gespräche mit den Maliern hatten ihnen eine Ahnung vermittelt, wie schlimm sie wirklich war. Killer nahm seine Gitarre und zupfte einige Töne.

„Lasst uns rausgehen," schlug Mole vor. „Musik machen."

In der hereinbrechenden Dämmerung brauchten sie nur wenige hundert Meter zu gehen, um von der Einsamkeit der Wüste umschlossen zu sein. Killer, Starman und Sam, der als Tontechniker ohne Strom arbeitslos war und auch eine Gitarre mitgebracht hatte, zupften behutsam eine orientalische Melodie,aber Mole war in einer anderen Stimmung. Sein Akkordeonspiel war laut und wild, und bald steckte er die anderen an.

Der deutsche Politiker hörte Fetzen von Musik, denen er gerne gefolgt wäre, aber er fühlte sich verpflichtet, bei dem libyschen Minister im Zelt zu bleiben. Dessen Darstellung der Lage südlich der Sahara war fast noch deutlicher als Oberst Gaddafis Schilderung während des Fluges, der ganz offen davon sprach, dass Libyen alles daran setzen werde, den französischen Einfluss in den ehemaligen Kolonien Westafrikas einzudämmen, wobei es, wenn auch halbherzige, Unterstützung aus Moskau gab.

Die derzeitige Dürre, die viele Menschen tötete oder in die absolute Armut trieb, trug zu einer weiteren Destabilisierung der Region bei, was dem einen oder anderen Akteur in der Weltregion ganz gelegen kam.

Die libyschen und malischen Soldaten hatten nichts zu tun, und so schlichen sie sich nach und nach alle zu den Uptones. Es dauerte nicht lange, bis einige von ihnen Trommeln und Saiteninstrumente holten, die irgendwie halbfertig aussahen - jedenfalls hatten die Saiteninstrumente nur eine oder drei Saiten. Schließlich gesellte sich auch Major Dembé zu den Musikanten.

Killer machte den Uptones ein Zeichen, und sie verstummten. Die Malier spielten eine Melodie, die für europäische Ohren nicht immer harmonisch klang, und ihr Major sang mit kräftiger, erstaunlich hoher Stimme. Einer der Soldaten flüsterte Mole zu:

„Sein Vater ist ein Griot. Der Major hat das von ihm gelernt. Er erzählt die Geschichte des Nigers."

Leise übersetzte der Malier den Vortrag von der Songhai-Sprache ins Französische.

Dembé hatte eine lange Geschichte zu erzählen, die alle in ihren Bann zog, auch duie, die kein Wort verstanden. Nach einer halben Stunde kam De,bé zum Schluss, und Mole gab seine Worte, wenn auch in Kurzfassung und mit Lücken, an die anderen weiter, die weder Songhai noch Französisch verstanden.

Killer besprach sich mit seinen Mitstreitern, die sich mit einigen Bob-Marley-Stücken revanchierten. Sie spielten sie ja häufig, meist natürlich elektrisch verstärkt, aber hier, in dem Sand der Wüste, unter den von Minute zu Minute zahlreicher funkelnden Sternen, mit Menschen, die fast alle dieselbe Hautfarbe hatten wie sie, das war etwas völlig anderes.

Die richtigen Leute Band 9: Sorgt, dass die Wüste nicht wächstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt