Vier Wochen ganz normaler Grundwehrdienst – nur unterbrochen von einer einwöchigen Geländeübung - lagen hinter Tom, als er am Freitag vor Weihnachten nachmittags ins Sauerland fuhr. Er hatte die Telefonate mit England, Griechenland und erst recht Libyen auf das notwendigste Minimum beschränkt und es letztlich genossen, ein paar Wochen lang von anderen gesagt zu bekommen, was er zu tun und zu lassen hatte.
Neben einem kurzen Wochenende bei Klaus in Bonn wurde dieser Quasi-Urlaub nur von dem Abendessen im Haus seines Kommandeurs unterbrochen. General Radermacher schilderte seiner Familie ziemlich wahrheitsgemäß, unter welchen Umständen er Tom kennengelernt hatte. Das allein war Tom schon äußerst peinlich, weil es kein besonders gutes Licht auf seinen Gastgeber warf, ihn selbst aber mit einem Glorienschein dastehen ließ.
Als Radermacher ihn seinen knapp zehn Jahre älteren Söhnen als gutes Beispiel unterjubeln wollte, musste er aber unbedingt widersprechen:
„Herr General, ich habe damals in Bonn nichts anderes getan als meinen Befehlen zu gehorchen. Ich habe einen Mann festgenommen, den ich für einen Spion halten musste, das ist alles. Ihr Sohn hat als Lehrer im 45-Minuten-Takt mit Banden von 30 Jugendlichen zu tun, die er im Griff haben muss. Ich denke, das erfordert deutlich mehr Mut und Kraft als einen Spion zu überwältigen. Ihr anderer Sohn muss sich mit Verbrechern und Paragrafen herumschlagen, wobei ich nicht weiß, was von beidem schlimmer ist. Ihre Söhne haben's um einiges schwerer als ich."
Die beiden jungen Männer sahen ihn stumm, aber dankbar an, wie sie überhaupt dem Geschehen sehr passiv folgten. Der General ging jedoch unbeirrt noch einen Schritt weiter:
„Ich weiß, dass Sie nicht über Ihre eigentliche Tätigkeit in Bonn sprechen dürfen. Aber ich darf spekulieren. Der MAD-Chef hat Sie nicht als Schreibkraft in diesen geheimen Stab berufen - den Stab, der sich mit Flugzeugen und Menschen aus weit entfernten Ländern befasst hat. Machen Sie sich nicht so klein. Ich sage ja nicht, meine Söhne seien nichtsnutzige Weicheier. Natürlich haben sie verantwortungsvolle Berufe. Ich würde mir eben nur ein bisschen mehr Eigeninitiative wünschen."
Tom fand, es hörte sich schon ein bisschen so an, dass der General seine Söhne als zu weich empfand, und so erwiderte er:
„Sie sollten sich vielleicht mal mit meinen Eltern unterhalten, Herr General. Denen habe ich mit meinen Eigeninitiativen mehr als einmal den Schlaf geraubt. Und dabei habe ich ihnen nichts davon erzählt, dass wir in Artilleriefeuer geraten sind oder uns eine Schießerei mit Polizisten geliefert haben, zum Beispiel. Wären Ihnen solche Söhne lieber?"
„Nein, das wären sie nicht," antwortete an des Generals Stelle seine Frau. „Ganz und gar nicht. Abgesehen davon wüsste ich nicht, wieso Sie als Bundeswehrsoldat in Artilleriefeuer geraten sein sollten, und wenn Sie eine Schießerei mit Polizisten gehabt hätten, säßen Sie im Gefängnis und nicht bei mir am Tisch."
Da war es wieder: sag die Wahrheit, sie glauben's sowieso nicht. Sollten sie ihn ruhig als Aufschneider ansehen, das fand Tom immer noch besser als erwachsenen Männern mit ehrbaren Berufen als Vorbild verkauft zu werden.
Der General brachte ihn um halb zehn zu seinem Auto. Während der Grundausbildung war um zehn Uhr Zapfenstreich, und das galt auch, wenn man dem Kommandeur einen Privatbesuch abstattete.
„Tom, ich würde ja gerne wissen, wo Sie der Artillerie in die Quere gekommen sind," lächelte der General zum Abschied. „Und was das mit den Polizisten war. Mir ist schon klar, dass beides nicht erfunden ist."
„Das hat beides nicht in Deutschland stattgefunden," wich Tom aus.
„Ich weiß. Ich tippe auf den Nahen Osten. Weil Ihr Stab sich ja auch damit befasst hat, mit dem Nahen Osten. Wissen Sie, am 29. Oktober ist mir so manches klargeworden."
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Die richtigen Leute Band 9: Sorgt, dass die Wüste nicht wächst
Historical FictionIn „Sorgt, dass die Wüste nicht wächst", dem 9. Band meiner Buchreihe „Die richtigen Leute" werden Tom und seine Freunde in teilweise gefährliche Abenteuer in verschiedenen europäischen Ländern und in Afrika verwickelt. Sie begleiten den „größten Ha...