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Beinahe wie erstarrt sitze ich im Schlafzimmer auf dem Bett und starre auf den atemberaubenden Ring an meinem Finger.

In den letzten Jahren habe ich ein meisterhaftes Werk damit errichtet, nicht durchblicken zu lassen, wie es in meinem Inneren eigentlich aussieht.

Und plötzlich treffe ich auf einen Mann, der mich lesen kann, als wäre ich ein offenes Buch.

Nur passt mir leider überhaupt nicht, dass er mich vor meiner Familie bloßgestellt hat.

Ich will nicht, dass sie denken, ich wäre schwach, nur weil mein Vater mich hat Foltern lassen, um mir eine verdammte Lektion zu erteilen.

Außerdem kann ich gut darauf verzichten, dass sie denken, ich wäre nicht dazu imstande, über irgendetwas anderes zu nachzudenken, als darüber, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie wahre Liebe von meinen Eltern erfahren habe.

Es ist deprimierend und diskriminierend, wenn sie nur ansatzweise darüber nachdenken sollten.

"Mi reina."
Ich hebe meinen Blick, sehe zu Nathaniel auf, welcher gerade mit einem schlichten weißen Handtuch um den Hüften aus dem Bad gelaufen kommt.

Sein Körper ist noch bedeckt mit Wassertropfen, was diesen Anblick nur umso heißer wirken lässt.

"Ich habe gefragt, ob du noch sauer bist."
Meine Lungen füllen sich, als ich einen tiefen Atemzug nehme.

"Wenn ich jetzt mit dir rede, sage ich vermutlich Dinge, die ich bereuen werde", gebe ich schließlich zu und sehe dann wieder zurück auf den perfekten Ring.

Seit Nathaniel mir diesen Ring an den Finger gesetzt hat, kann ich nur noch daran denken, dass er ihn schon seit einer Weile besitzen muss.

"Wir heiraten morgen, meine Kleine. Wenn du nicht mit deinem Ehemann sprechen kannst, läuft in der Ehe eindeutig etwas falsch."
Ich verdrehe die Augen und vermeide ihn daran zu erinnern, dass wir noch nicht in einer Ehe stecken.

Stattdessen fahre ich mit dem Daumen über die Innenseite meines Ringfingers.

"Wie lange besitzt du den Ring schon, Nathaniel?", frage ich und versuche zu ignorieren, wie rauchig meine Stimme gerade klingt.

Er kommt auf mich zu, bleibt direkt vor mir stehen und greift nach meinem Kinn, welches er dann in die Höhe zieht, sodass ich zu ihm hinauf und ihm in die Augen blicken muss.

Diese perfekten Augen, welche mich schon immer in einem ganz eigenartigen Licht gesehen haben.

"Ein paar Wochen. Spielt das eine Rolle?"
Ich nicke so weit, wie es mir sein griff erlaubt.

"Tut es. Vor ein paar Wochen war nämlich noch alles anders", gebe ich zu und lasse meine Augen über sein gesamtes Gesicht wandern.

Einfach alles an diesem Mann wirkt in meinen Augen geradezu perfekt.

"Vor ein paar Wochen habe ich dir misstraut. Vor ein paar Wochen warst du für mich nur ein Kerl, der eine kranke Obsession von mir hat und bei meinem Anblick hart wurde."
Er grinst.

"Ist heute noch so. Also hat sich nicht viel verändert."
Ich atme tief ein, greife nach seiner Hand und löse sie von meinem Kinn, ehe ich sie umdrehe und meine Stirn einfach gegen seinen Handrücken fallen lasse.

"Vor ein paar Wochen hätte ich dich noch benutzt, um zu bekommen, was ich wollte. Egal, was es war", gebe ich fast schon kleinlaut zu und finde etwas Vertrautes darin, wie er mit dem Daumen sanft über meine Finger streicht.

"Und vor ein paar Wochen warst du mir noch egal. Du warst nur irgendein Kerl und nicht der Mann, der mich in Grund und Boden liebt."
Meine Stimme wird brüchig und mein Herz beginnt zu schmerzen, wenn ich nur daran denke, was alles eigentlich in der letzten Zeit passiert ist.

Nathaniel legt seine große Hand an meinen Hinterkopf und streicht mir beruhigend über das Haar.

"Nur ein einziges Mal", beginne ich und entscheide mich dazu, wieder zu ihm aufzusehen.

"Ich will nur ein einziges Mal in meinem Leben behalten können, was mich glücklich macht, Nathaniel."
Meine Stimme bricht und Tränen bilden sich in meinen Augen.

Irgendwie scheint es so, als könne ich ganz plötzlich, wo ich einmal nachgegeben und geweint habe, nicht mehr damit aufhören.

"Polly macht mich glücklich. Du machst mich glücklich. Rico, Briana und sogar Mariposa machen mich glücklich. Mittlerweile tut es nicht mehr so weh, sie anzusehen. Ich will nicht, dass ich das alles verliere, nur weil mein Vater seine beschissenen spiele mit mir spielt. Ich will..."
Ein Schluchzen befreit sich aus meiner Kehle und plötzlich stehe ich auf.

Aus irgendeinem Grund kann ich meinen Körper kaum kontrollieren, als ich mich aufrecht hinstelle und zu Nathaniel bewege, nur um mich dann an ihn zu pressen und seine Hand viel fester zu drücken als nötig.

Nathaniel zögert nicht und zieht mich sofort näher an sich, ehe er seine Finger mit meinen verschränkt.

"Ich will das hier behalten, Nathaniel. Euch alle", schluchze ich an seiner nackten und noch feuchten Brust.

Doch er?

Nathaniel bleibt unfassbar ruhig, streicht mir mit beruhigenden Berührungen über den Hinterkopf und scheint mich einfach nur besänftigen zu wollen.

"Du wirst keinen von uns verlieren, Amara. Ich werde dich morgen endlich heiraten und mein Versprechen einhalten, Mariposa zu deiner Nichte zu machen. Du hingegen kannst tun und lassen, was auch immer du willst. Unterschreibe die Papiere. Lass es, wenn du dich nicht wohl damit fühlst. Fakt ist, dass ich dir alles bieten kann, was ich eben zu bieten habe. Sei egoistisch und tu alles dafür, um deinen Platz in dieser Familie zu finden. Sei aber auch trotzdem stark genug, um deinen Vater in Grund und Boden zu stampfen, Mi reina."
Inzwischen wimmere, seufze und heule ich in seine Brust, während Nathaniel weiterhin liebevoll und fürsorglich bleibt.

Und genau in diesem Moment will es einfach aus mir herausplatzen.

Ich will es ihm sagen und will ihn wissen lassen, dass ich ihn nicht benutze.

Ich will ihm sagen, wie viel er mir bedeutet und wie groß die Angst davor ist, zu realisieren, dass ich mich tatsächlich in ihn verliebe.

Und doch kommt es mir einfach nicht über die Lippen.

Also tue ich das, was dem am nächsten kommt und hoffe, Nathaniel versteht meine nonverbalen Worte dennoch.

Ich löse mich von ihm, greife einfach nach seinen Wangen und ziehe ihn zu mir hinunter, nur um meine von den Tränen befeuchteten Lippen einfach auf seine zu drängen.

Und natürlich erwidert er den Kuss unbekümmert.

Er leckt mir sogar über die Unterlippe und nimmt die salzige Flüssigkeit meiner Tränen in sich auf, nur um dann ein tiefes Brummen der Zustimmung von sich zu geben.

Wir küssen uns und ich presse mich an ihn, als bräuchte ich nichts anderes, als seinen Körper an meinem.

Und erst, als wir beide uns aneinander satt geküsst haben, löse ich mich von ihm und blicke ihm tief in die Augen.

"Ich will dich auf jede Art, die du zulässt, Amara. Selbst, wenn es bedeutet, dass du mich, auf die Kosten deines Glücks, benutzt."
Ein stechen breitet sich in meiner Brust aus, weil er es einfach nicht verstanden hat.

Und genau in diesem Moment, wünsche ich mir, ich hätte es ihm einfach sagen können.

Passionate VengeanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt