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Mit dem Daumen fährt er sanft über meine Wange, während er mir tief in die Augen schaut und auf eine Art Zeichen zu warten scheint.

Ich kann nicht oft genug erwähnen, dass ich keinerlei Verständnis für mein plötzliches Verhalten in seiner Gegenwart habe.

Vielleicht macht es mich einfach nur schwach, dass er wirkliche Interesse an mir zeigt und mich immer wieder wissen lässt, dass er sich, aus mir unerklärlichen Gründen, tatsächlich um mich schert.

"Was ist, wenn ich mich weigere?", frage ich, um zu sehen, wie weit ich bei ihm gehen kann.

Er saugt scharf die Luft in seine Lungen und schnalzt dann mit der Zunge.

"Es war ein fairer Deal. Ich habe meinen Teil der Abmachung bereits eingehalten. Jetzt liegt es an dir, deinen Teil einzulösen, Kleine."
Leider hat er damit nicht einmal Unrecht.

Ich habe dem Kuss, unter der Voraussetzung zugestimmt, dass er den Anzug trägt und den Tag mit uns verbringt.

Seinen Teil hat er von Anfang bis Ende durchgezogen.

Jetzt wäre ich an der Reihe, meinen Teil der Abmachung einzuhalten.

Wäre es vielleicht anders gelaufen, wenn ich nicht ständig in Probleme und Gefahren gelandet wäre?

Hätte er dann vielleicht längst einen Schritt auf mich zu gemacht?

"Eine weitere Bedingung", sage ich, was ihm sofort nicht zu gefallen scheint, denn schon nimmt er seine Hand zurück und setzt sich auf den Rand von seinem Schreibtisch.

"Amara, wenn du jetzt..."

"Wir gehen nicht weiter, als der Kuss. Den Kuss gebe ich dir, wie auch immer du ihn haben willst, aber wir gehen keinen Schritt weiter. Nicht heute", unterbreche ich ihn sofort, da ich mir seine Worte nicht anhören will.

Vielleicht würde ich es mir anders überlegen und das kann ich mir gerade nicht erlauben.

Denn gerade jetzt, wo ich vor ihm stehe...

Nach diesem atemberaubenden Tag mit seiner Familie, kann ich plötzlich an nichts anderes mehr denken, als an die Frage, ob ich doch vielleicht nur einen Nutzen für ihn habe.

Was ist, wenn er mich nach der ganzen Sache mit meiner Familie, einfach in den Wind schießt und niemals wieder von mir hören will?

Was ist, wenn es von Anfang an sein Plan war, mir weis zu machen, dass ich eine Bedeutung für ihn habe?

"Woran denkst du gerade, dass du plötzlich zu kneifen beginnst? Wo ist die schlaue und Willensstarke Frau, der ich vor wenigen Wochen im Club begegnet bin?"
Ich sehe ihm tief in die Augen und denke für einen kurzen Moment über seine Worte nach.

Die Antwort darauf kenne ich jedoch bereits und freuen tut es mich definitiv nicht.

"Diese Frau hatte nichts und niemanden, den sie wirklich unter jeden Umständen beschützen wollte", gebe ich ehrlich zu und beobachte jede einzelne Regung in seiner Miene.

Doch das einzige, was sich plötzlich verändert, sind seine Augen.

Ein winziges und kaum zu erkennendes funkeln ist in ihnen zu finden, während er mich betrachtet, als wäre ich eine Art wertvoller Schatz für ihn.

"Soll das bedeuten, dass du hier endlich deinen Platz gefunden hast, Amara?"
Die Tatsache, dass er für diese Frage meinen Namen verwendet und nicht diesen albernen Spitznamen benutzt, macht es noch schwerer für mich, die Frage überhaupt zu beantworten.

"Was ist, wenn ich gerade dabei bin, hier meinen Platz zu finden?", frage ich, ohne den Blickkontakt mit ihm zu unterbrechen.

"Ich weiß noch immer nicht genau, was du für ein Mensch bist und kann dich nur in wenigen Situationen einschätzen. Was ist, wenn du mich eigentlich doch für irgendetwas brauchst und mich danach einfach davon jagst?", frage ich und beobachte ihn weiterhin aufmerksam.

Er lächelt flüchtig und senkt dabei den Blick, was meinem Herzen einen winzigen Stich verpasst.

Habe ich ins Schwarze getroffen?

Waren meine Vermutungen wieder einmal richtig?

"Mir ist klar, dass deine Familie dein Vertrauen an die Menschheit völlig zunichtegemacht hat", beginnt er, als er langsam wieder zu mir nach oben blickt und plötzlich seine Hände an meine Hüften legt, ehe er mich etwas näher an sich heranzieht.

"Mir ist auch klar, dass du noch nicht genügend über mich weißt, doch das kann sich ändern. Ich vertraue dir so sehr, dass ich dich ohne Begleitung in die Gegenwart meiner Nichte lasse. Ganz zu schweigen von der kleinen Polly."
Er hat nicht Unrecht.

Wenn er mich nur für etwas benutzen würde, würde er gleichzeitig auch mit allem bei mir rechnen müssen.

Jedenfalls wäre es bei mir der Fall.

Wenn ich jemanden für meine Zwecke benutzen würde, hätte ich bereits alle möglichen Szenarien in meinem Kopf durchgespielt und mir alles Mögliche ausgemalt.

Und doch würde ich der Person niemals zu hundert Prozent vertrauen.

Aber Nathaniel tut es.

Er vertraut mir seine Familie an.

"Ich würde dir hier und jetzt einen gottverdammten Antrag machen und dich anbetteln, mich zu heiraten, weil ich so verdammt von dir besessen bin."
Mit großen Augen starre ich ihn an, da ich wirklich mit allem gerechnet habe, doch niemals hätte ich das von ihm erwartet.

"Und doch tue ich es nicht. Immerhin will ich es richtig machen, wenn ich dir eines Tages meinen Namen gebe, Kleine", versichert er mir förmlich und beruhigt meine Gedanken damit.

"Okay, du hast mich davon überzeugt, dass du mich nicht für irgendetwas benutzt", beginne ich und gehe einen Schritt auf ihn zu, nur um dann direkt zwischen seinen Beinen stehenzubleiben und meine Hände auf seine trainierten Schultern zu legen.

"Aber das mit dem Antrag war doch gelogen, oder?", frage ich schon fast verzweifelt, weil ich es einerseits überhaupt nicht nachvollziehen kann und andererseits auch nicht wirklich weiß, wie ich mit dieser Information umgehen soll.

Er lächelt mich an und kommt meinem Gesicht mit seinem immer näher.

"Wirst du erfahren, wenn es so weit ist", lächelt er, ehe er mir einen flüchtigen Kuss auf den Mundwinkel haucht.

Ich bin beinahe wie erstarrt.

Passionate VengeanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt