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POV Léon

Wütend platze ich in Nathaniels Schlafzimmer, das Handy noch in der Hand und der Schock der neuen Informationen noch tief in mein Hirn gebrannt.

"Wann wolltest du mir sagen, wer der Vater von der kleinen Tänzerin ist?", frage ich ihn rasend vor Wut und ignoriere die Tatsache, dass er sich gerade in seinen Anzug hievt, in welchen er Amara in weniger als einer Stunde zur Frau nimmt.

Wie immer trägt er zu seinem Anzug ein schwarzes Hemd, was mich verdammt ankotzt, weil schwarz schon immer meine Farbe war.

Ich habe sie zu meiner Farbe gemacht, als ich meine Seele mit fünfzehn Jahren in die Farbe der tiefsten schwärze getränkt habe.

Er dreht sich nicht einmal zu mir um und knöpft weiterhin unbekümmert sein Hemd zu.

"Spielt das eine Rolle?", fragt er mich gelassen, als wäre es wirklich überhaupt nicht der Rede wert.

Normalerweise würde ich ihm da vielleicht sogar zustimmen.

Doch nicht in diesem Fall.

Ich fühle mich elend.

Nachdem ich gestern Abend die Kontrolle verloren und Emerson ungewollt gewürgt habe, konnte ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren, als auf die Tatsache, dass ich es irgendwie wiedergutmachen wollte.

Dementsprechend habe ich mich dazu entschlossen, für einen Platz in der Privatschule zu sorgen, in welcher Aurora in diesem Jahr noch anfangen soll.

Das Geld für diese Kosten geht mir ziemlich am Arsch vorbei.

Genauso wäre es auch mit dem Geld der Schulden ihres Vaters gewesen, welche ich ganz einfach mit der Person abgeglichen hätte, dem dieses Geld zusteht.

Nur leider habe ich etwas herausgefunden, mit dem ich definitiv unter keinen Umständen gerechnet hätte.

"Natürlich spielt das eine Rolle. Ich mache wirklich alles, was du von mir verlangst, Nathaniel, und stelle es auch nicht infrage, weil ich dich liebe, Mann. Aber das? Geht das nicht ein bisschen zu weit? Schnallst du eigentlich, wie sich das ganze entwickelt hat?", frage ich und fahre mir verzweifelt mit den Fingern durch das müde Gesicht.

Schon die zweite Nacht, in welcher ich kein Auge zugetan habe.

"Komm mal wieder runter, Léon. Müssen wir ausgerechnet jetzt darüber sprechen? Ich heirate in weniger als einer Stunde und bis dahin müssen noch einige Dinge erledigt werden."
Ich starre ihn an, unterdrücke das Bedürfnis meinem besten Freund mit aller Kraft in die fresse zu schlagen und kann die Wut in meinem Inneren kaum ertragen.

Meine Füße tragen mich voran, bevor ich überhaupt darüber nachdenken kann und schon packe ich ihn am Kragen seines Hemdes.

Wir sind ungefähr gleich groß, auch wenn ich etwas breiter gebaut bin, als es bei ihm der Fall ist.

"Musst du mich in diese beschissene Lage bringen? Gefällt es dir, mich leiden zu lassen?", knurre ich und kann all die angestaute Wut plötzlich kaum noch kontrollieren.

Nathaniel zieht die Brauen zusammen und betrachtet mich beinahe schon vollkommen dämlich, als hätte er keine Ahnung, was gerade eigentlich abgeht.

Und dann trifft es mich, wie ein Tritt in die Eier.

Vor mir steht der falsche Bruder.

Domenico war derjenige, der von meiner Vergangenheit wusste und wie sehr sie mich in Stücke gerissen hat.

Nathaniel hat keinen verfickten blassen Schimmer.

Und das soll auch so bleiben.

Ich raffe mich schnell wieder zusammen und hoffe, er interpretiert meinen kleinen Aussetzer genau so, wie ich es gerne möchte und reime mir irgendeine Ausrede zusammen.

"Ich habe ihren Vater umgelegt, Großer. Meinetwegen muss sie mehrere Jobs arbeiten und sich um ihre kleine Schwester kümmern", sage ich und nehme wenigstens einen kleinen Funken der Wahrheit für meine Ausrede.

"Das ist einfach ein Scheißgefühl, Mann", füge ich hinzu und lasse von ihm ab, ehe ich sein Hemd wieder richte und mich für meinen Aussetzer in Grund und Boden schäme.

Fuck, langsam beginnt die Mauer zu bröckeln.

"Emerson ist nicht hier, weil ihr Vater Schulden bei uns hatte, die er nicht begleichen konnte. Sie ist hier, weil sie die einzige Freundin war, die Amara in verdammt vielen Jahren auch nur ein winziges Stück an sich herangelassen hat", erklärt Nathaniel und kümmert sich noch etwas mehr um sein äußerliches Erscheinungsbild, während ich die Arme vor der Brust verschränke und mich zurück an die Kommode begebe, an welche ich mich lehne.

Ich versuche verdammt verzweifelt, ihn denken zu lassen, dass ich gelassen und entspannt bin, während in meinem Inneren alle Stimmen zu schreien und Kämpfen beginnen.

Der falsche Bruder!

Er hat keine Ahnung!

Er sollte es inzwischen wissen!

Der Große kann nichts dafür!

Krieg dich wieder ein!

Schlag ihn zusammen!

Erzähl ihm alles!

Zück dein Messer!

Bitte ihn um Hilfe!

"Siehe es doch einfach als zweite Chance an. Wie ich gehört habe, hast du ihrer kleinen Schwester einen Platz in Auroras Schule besorgt?"
Ich nicke und dränge all meine Verzweiflung zurück.

"Sie meinte, sie könnte es sich nicht leisten, die kleine auf eine gute Schule zu schicken", antworte ich und starre auf die Spitzen meiner Schuhe.

Wie ich es hasse, wenn ich solche glänzenden und verfickten Treter tragen muss.

Am liebsten würde ich einfach irgendwelche Boots oder aber ganz normale Turnschuhe tragen.

Boots hinterlassen die schönsten Fußabdrücke, wenn man mit ihnen durch das Blut seiner Opfer läuft.

Hab ich schon mit siebzehn herausgefunden.

"Und wieso hast du es gemacht?", fragt er, weshalb ich den Kopf hebe und eine Braue in die Höhe ziehe.

"Wieso hast du es für nötig gehalten, ihr zu helfen und sogar nach ihrem Vater zu suchen?"
Dieser Bastard kennt mich einfach viel zu gut.

"Wollte nur wissen, ob es jemanden gibt, der mir Probleme bereiten würde, wenn ich sie aus dem Weg räume", antworte ich ihm tonlos und schon sieht er mich mahnend an.

"Leck mich, Alter. Ich habe sie vielleicht ein wenig erschreckt und mich dann schlecht gefühlt", gebe ich schließlich nach und kratze meinen Nacken, welcher sich ganz plötzlich total angespannt fühlt.

Nathaniel nickt und greift nach seinem Jackett.

"Kannst du dich einfach weiter um sie kümmern? Briana hat mich gebeten, ihr nicht mehr allzu viele Aufgaben zu geben und Griffin ist mit Amaras Familie beschäftigt. Außerdem vertraue ich dir am meisten", erklärt er und kommt dabei auf mich zu, ehe er mir die Hand auf die Schulter legt und etwas zudrückt.

Nathaniel ist seit Jahren mein bester Freund und trotzdem hat er keine Ahnung, was er da eigentlich von mir verlangt.

Wenn es anders gelaufen wäre, wäre ich der Grund dafür gewesen, dass Emerson in dieselbe Lage geraden wäre, wie ich es in meiner Kindheit bin.

Trotzdem blicke ich ihm ohne jegliche Regung in der Miene entgegen und nicke.

"Bin dran, Großer", sage ich und wende mich ab, nur um mein ganzes verficktes Leben zu hinterfragen.

Passionate VengeanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt