Kapitel 33

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Atlas warf sein Handy fort, als hätte er sich soeben daran verbrannt.
Wortlos sprang er vom Bett, während er sich aufgebracht durch sein Haar strich, was zugegebener Wise mal wieder verdammt scharf aussah.
„Was ist los? Ist alles in Ordnung?" Das nicht alles in Ordnung war, war eigentlich klar, aber ich konnte nicht anders, als ihm diese Frage zu stellen.
„Ich...ich muss los!"
Meine Güte, so aufgelöst hatte ich ihn ja noch nie gesehen. Was war plötzlich mit dem selbstbewussten Typen passiert, den ich kannte?

„Was ist los?", wiederholte ich meine Frage noch einmal.
Atlas schloss kurz seine Augen und ich konnte seine Kieferknochen mahlen sehen.
„Ich wünschte, ich könnte es dir erklären, Avery. Du glaubst kaum, wie sehr ich das tue. Aber ich kann nicht. Noch nicht. Ich muss... muss erst mit meiner Mutter abklären!"

„Deiner Mutter abklären? Bitte Atlas, sag mir was los ist!", ich flehte ihn fast an, doch er gab nicht nach.
„Ich lasse dich gleich nach Hause fahren, Avery."
„Aber..."
„Es geht gerade nicht anders, es tut mir leid."

Er wollte mich nach Hause fahren lassen???
Warum fuhr er denn nicht? Gott, was zum Teufel war bloß los?
Ich sah Atlas mit großen Augen dabei zu, wie er sich seine Kleidung überstülpte, bis er mir schließlich meine hinüber warf. Ich schluckte, als ich mich mit fahrigen Finger nach vorn beugte und nach der Kleidung griff, um sie mir ebenfalls überzustülpen.
„Atlas, bitte...", begann ich wieder, doch er unterbrach mich sofort wieder: „Nein!"
So harsch hatte ich ihn noch nie erlebt.

„Hab ich etwas falsch gemacht?"
Atlas sah mich ernst an, ehe er sich zu mir herab beugte, um mein Gesicht in beide Hände zu nehmen. Für einen kurzen Moment huschte wieder seine Sanftheit über sein Gesicht, die er mir gegenüber häufig an den Tag legte.
„Nein, bitte denk das nicht! Es liegt nicht an dir!"
„Ist das nicht der typische Satz, um Schluss zu machen?"
„Glaub mir, Avery! Das letzte was ich will ist, mit dir Schluss zu machen!"
„Dann sag mir, was los ist verdammt!"

„Ich habe Verpflichtungen, denen ich nicht entfliehen kann, Avery. Sobald ich kann, werde ich es dir sagen!"
Er strich sich gestresst über seinen leichten Stoppelbart.
„Oskar wird dich gleich heimfahren, er müsste sicher bald da sein, hab ihm eben geschrieben."
Wann zum Teufel hatte er das denn gemacht?
Ich war so sehr mit der Frage beschäftigt gewesen, was los war, dass ich davon nicht einmal etwas mitgekriegt hatte.

Eiligen Schrittes führte Atlas mich durch zahlreiche Gänge zurück zum Atrium.
„Ich muss los, aber Oskar sollt jeden Moment hier sein! Ich melde mich bei dir!" Mit diesen Worten ließ r mich einfach auf der Veranda stehen. Entgeistert sah ich ihm dabei zu, wie er sich auf sein Motorrad setzte und so eilig davonrollte, dass ich beinahe beeindruckt gewesen wäre, dass es dabei nicht abhob.

Einige Minuten stand ich einfach nur da und starrte auf den Punkt an der Straße, an dem ich ihn schließlich aus den Augen verloren hatte.
Wie ein Stein ließ ich mich an der Wand entlang auf den Boden sinken und vergrub mein Gesicht in den Händen.
Wie hatte ich auch bloß nur einen Moment denken können, dass ein Typ wie er ernsthaft an mir interessiert sein könnte. Spätestens als ich dieses Schloss hier gesehen hatte, hätte mir das eigentlich klar sein müssen.

„Avery?"
Irgendwann riss mich Oskars Stimme aus meinen Gedanken. Erschrocken riss ich meinen Kopf nach oben. Na immerhin war er endlich da, ich wollte einfach nur noch hier weg!
„Ist alles in Ordnung?"
Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich zu weinen begonnen hatte. Ich nickte nur, auch wenn ich wusste, dass es nicht sonderlich glaubhaft aussah.
„Kannst du mir sagen, was verdammt nochmal los ist?"
„Bedaure, aber das ist leider nicht meine Aufgabe. Das wird Atlas wohl schon selber tun müssen.
„Ich bezweifle, dass er das tun wird..."
„Ich nicht!" Er lächelte mich freundlich an und irgendwie tat es mir für ihn schon fast leid, dass ich so schlechte Laune hatte.

„Auf direktem Weg nach Hause?"
„Ja, bitte!"

Der Wagen in den ich stieg, stand all dem, was ich heute von Atlas Besitztümern hatte sehen dürfen, in absolut nichts nach. Ich spürte, wie sich der Sitz an mich anpasste, nachdem ich mich angeschnallt hatte.

Es kostete mich verdammt viel Mühe, meine Tränen zurückzuhalten. Dementsprechend bekam ich auch nicht allzu viel von der Fahrt mit. Ich fragte mich auch gar nicht erst, woher genau Oskar meine genaue Adresse kannst; Atlas musste sie ihm irgendwann gesimst haben...
Im Hintergrund lief die ganze Zeit über leise irgendein Radiosender und ich war mir ziemlich sicher, dass mich der Song der mich auf der Fahrt begleitete, die nächsten Wochen sicherlich jedes Mal zum Heulen bringen würde, wenn ich ihn hörte.
Meine Güte, jetzt hatte ich schon einen richtigen Trennungssong!

Als wir vor meiner Wohnung hielten, war ich unfassbar erleichtert darüber, dass der Wagen meiner Mutter verschwunden war.
Höflich bedankte ich mich bei Oskar dafür, dass er mich heimgebracht hatte und verabschiedete mich von ihm.
Kaum war die Tür hinter mir ins Schloss gefallen, ließ meinen Tränen auch schon freuen Lauf.
Ich konnte nicht sagen, wann ich das letzte Mal geweint hatte, es musste schon Ewigkeiten her sein. Aber einmal begonnen, konnte ich einfach nicht mehr aufhören.

Und irgendwo zwischen ein paar Portionen Eis und weiteren Tränen, schaffte ich es schließlich, mich in den Schlaf zu wiegen und wenigstens auf diese Weise all dem hier zu entfliehen.

**********
Als ich aufwachte, hatte ich Mühe, meine Augen auseinander zu pressen, sosehr klebten die Lieder aufeinander. Ein Blick auf mein Handy verriet, dass ich ein paar Nachrichten verpasst hatte. Ein zweiter Blick verriet mir, dass sie von Atlas stammten. Mit der Motorik eines Zombies klickte ich seinen Ikon an, um seine Nachrichten zu lesen:

Hey Avery, das wegen heute Mittag tut mir verdammt leid!
Ich habe dich außerdem die ganze Zeit anlügen müssen, und das tut mir noch viel mehr leid.
Wenn du magst, kann ich gleich vorbeikommen, dann werde ich dir alles erklären.
Bitte verzeih' mir, Avery!

Okay

...war alles, was ich ihm zurückschrieb.

Sex(y) in der BoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt