Kapitel 56

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"Atlas! Ich muss mit dir sprechen!" Der König betrat den Raum, in den wir uns kurz zurück gezogen hatten um wenigstens einen kurzen Moment zu haben, um uns bei all dem Chaos zu sammeln, und steuerte auf geradem Weg Atlas an. Seine schwere Robe wehte ihm dabei majestätisch hinterher und untermalte nur noch mehr die Macht, die er inne hatte und die ihm förmlich aus allen Poren zu triefen schien.

Verwundert sah Atlas ihn an.

"Weshalb?"
Kurz warf sein Vater einen Blick in meine Richtung, nickte dann aber.

"Ich bin einundsechzig Jahre alt", stellte der König fest.

"Ist mir bekannt!" Atlas sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. "Was willst du mir damit sagen, Dad?"

Irgendwie fand ich, dass es sich verdammt  komisch anhörte, wie Atlas ihn mit einer eigentlich so alltäglichen Floskel ansprach.

"Meine Frau hat unseren eigenen Sohn ermordet, mein Sohn selbst hat zuvor seinen eigenen Tod vorgetäuscht, weil er sein Leben scheinbar so furchtbar fand. Ich habe nie gewusst, wie sehr er gelitten haben muss. Ich habe sein Leben zerstört, sein viel zu kurzes Leben, Atlas!"

"Sag soetwas nicht, dad. Mum hat sein Leben zerstört, aber nicht du!"
"Ich hätte es aber merken müssen! Merken, dass es ihm nicht gut ging!", nun brüllte er fast und ich war froh, dass gerade keiner da war, der das mitbekommen konnte. Sonst hätte sein Ausbruch morgen sicher wieder in den Schlagzeilen gestanden.

Wobei, wer konnte den schon mit Sicherheit sagen, dass nicht in irgendeiner Ecke doch jemand lauerte, der nur danach lächzte, irgendetwas spannendes hier aufzuschnappen, an dem er sich bereichern konnte -  und sei es auch nur in Form eines neuen Zeitungsartikels.

"Ich möchte nicht noch einen Thronfolger zu Grabe tragen müssen, Atlas!" Er sah ihm tief in die Augen, als würde er darin etwas suchen. Vielleicht besah er sich aber auch nur die Ähnlichkeit, die Atlas Augen mit denen seiner Mutter hatten. Die Art, wie der König Atlas fixierte, hatte er jedoch an seinen Sohn vererbt.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Atlas anfing, nervös von einem Bein aufs andere zu treten, sodass es fast aussah, als müsse er gleich aufs Klo. In gewisser Weise machte er mir den Eindruck, als wisse er ganz genau, was sein Vater gleich sagen würde. Etwas, was ihm ganz sicher nicht behagte, so viel war sicher!

"Und deswegen trete ich zurück und mache den einzig verbliebenden Thronfolger zum König!" Jetzt war es draußen. Erschrocken hielt ich die Luft an. Das hatte er nicht ernsthaft gerade gesagt? Er wollte sein Amt abgeben? Vorsichtig linste ich zu Atlas hinüber. Ich fand, dass er erstaunlich gefasst dastand und kaum eine Miene verzog.

"Findest du nicht, dass ich etwas jung dafür bin?", fragte er nach einer Weile des Schweigens.

"Würde ich das finden, dann hätte ich es nicht gerade angekündigt!" Also wenn nicht gleich etwas geschah, dann würde ich wirklich mein Gleichgewicht bald verlieren. Meine Güte, wie konnte man bloß so ruhig da stehen, wie Atlas es gerade tat.

"Findest du das nicht etwas übereilt? Ich meine, Rhone ist gerade erst gestorben und..."

"Genau deswegen hatte ich genug Anreize, um genau darüber nachzudenken. Auch wenn du nie so darauf vorbereitet worden bist, wie Rhone vor dir, so bist du dennoch für dieses Amt vorbestimmt und ich bin der Ansicht, dass es Zeit ist, dass du deiner Bestimmung nach gehst, Atlas!"

Schweigen. Man hätte eine Nadel zu Boden fallen hören können, so still war es. Plötzlich fand ich mein eigenes Atmen in dem Raum zu laut. Von draußen her hörte man ganz leise das Stimmengewirr der Gäste, die sich vermutlich gerade ein Käsebrötchen nach dem nächsten verleibten. Gäste, die vermutlich nicht einmal im Ansatz ahnten, was gerade ein paar Wände neben ihnen besprochen wurde.

Ich fühlte mich geehrt, dass der König meine Anwesenheit bei diesem Gesprächen tolerierte. Trotzdem wusste ich nicht so recht, wie ich mich verhalten sollte. Nervös trat ich von einem Bein auf das andere, während mein Blick zwischen den Beiden hin und her huschte.

Angenommen, Atlas würde König werden, was würde das für mich bedeuten? Darüber hatte ich noch gar nicht wirklich nachgedacht. Doch der Gedanke jagte mir auf einmal einen fürchterlichen Schrecken ein. Was würde das an unserer Beziehung ändern? Würde es etwas ändern? Bestimmt!

"Dad..."
"Ich habe das bereits entschieden, mein Sohn!"

"Ich habe ja gerade auch gar nicht widersprechen wollen. Jedenfalls nicht direkt... Glaubst du denn, dass das das Volk gut aufnehmen würde? Ich meine, bei soviel Chaos in unseren Reihen."
"Weißt du Atlas, ich habe dich eigentlich immer dafür bewundert, wie egal es dir war, was die Leute über dich denken. Warum also interessiert es dich jetzt?"
Atlas linste aus den Augenwinkeln kurz in meine Richtung. Er hielt den Blick nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber es war gerade genug Zeit, dass ich ihn bemerken konnte. Und sein Vater schien ihn auch bemerkt zu haben.

"Es ist wegen ihr, oder?", er deutete mit dem Kinn in meine Richtung.

Schweigen.

"Du darfst meiner Meinung nach zusammen sein, mit wem du möchtest, Atlas. Aber dennoch hast du Verpflichtungen, gar Erwartungen, die das Volk an dich hat!"
"Wie du schon sagtest, es hat mich noch nie sonderlich interessiert, was das Volk von mir denkt!"

"Aber das hat sich geändert, Atlas. Nicht wahr?"
Schweigen.

"Atlas, wegen mir musst du auf nichts verzichten...," wies ich ihn vorsichtig drauf hin.

"Ich will dich aber nicht verlieren!", flüsterte er leise. "Ich kann dich nicht verlieren! Und ich weiß, dass du den ganzen royalen Kram hier eigentlich nie wolltest, ich weiß, dass dir eigentlich die ganzen Klatschblätter schon viel zu viel sind, die andauernd auch über dich verfasst sind. Und ich weiß, dass all das viel mehr werden würde, wenn ich ..."

"Und ich weiß, dass mir all das egal ist, solange ich dich an meiner Seite habe!", unterbrach ich ihn und überwand den einen Schritt, der uns voneinander trennte, um ihn zu küssen. Dabei war es mir egal, dass sein Vater dabei zuschaute. Mir war egal, was er darüber denken mochte; über uns denken mochte. Für mich zählte nur Atlas!

"Es ist mir egal, ob du Bettler oder König bist oder irgendein normaler Bürger. Ich habe mich schon in dich verliebt, bevor ich von all dem hier überhaupt wusste. Und ich weiß, dass es wirklich alles ins Chaos stürzen würde, wenn du auf den Thron verzichtest. Tu mir einmal den Gefallen und verzichte nicht wegen mir auf deine Berufung!", bat ich ihn und lächelte ihn an, nachdem ich mit meinem Kuss wieder von ihm abgelassen hatte.

Atlas musterte mich eine ganze Weile ausgiebig, dann drehte er sich wieder zu seinem Vater um: "Okay!", sagte er dann. Der König nickte bloß, sein Blick lag dabei auf mir.

Sex(y) in der BoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt