Kapitel 34

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Ich wusste absolut nicht mehr, was ich denken sollte.
War da jetzt noch etwas zwischen ihm und mir? Oder war es endgültig vorbei mit uns?

Als es schließlich an der Tür klingelte, war ich kurz vorm durchdrehen.
Atlas sah irgendwie anders aus, als als ich ihn das letzte mal gesehen hatte.
Er wirkte schwer mitgenommen, hatte tiefe dunkle Ringe unter seinen Augen, hatte aber zugleich seinen üblichen lässigen Style an sich.

Dieses Mal war er nicht mit seinem Motorrad gekommen. Stattdessen hatte er irgendein edles Fahrzeug mit, in welchem so weit ich es erkennen konnte, mindestens zwei weitere Personen saßen.

„Wer ist das?", fragte ich Atlas ohne Umschweife und deutete auf die Personen im Fahrzeug.
„Ich werde es dir gleich erklären, Avery. Lass uns doch bitte erst einmal rein gehen."
„Okay...", etwas misstrauisch sah ich ihn an.

Wir setzten uns an den Tisch in meinem Essbereich, auf dem noch immer vereinzelte Krümmel Laugenstangen von dem Frühstück meiner Mutter hafteten.
„Willst du was trinken?", bot ich ihm an, doch er schüttelte bloß den Kopf.

„Du hast geschrieben, dass du mich angelogen hast! Wann und warum und bei was?"
„Lass mich von vorn anfangen!", bat er und sah mich dabei fast schon flehend an.
„Warum bist du einfach wortlos weg?"

„Mein großer Bruder ist gestorben."
Es waren fünf Worte, nur fünf einfache Worte, doch für mich entschuldigten sie beinahe alles. Ich konnte den Schmerz richtig spüren, der diesen Worten nachhing.

"Ach du meine Güte. Atlas, warum hast du mir das nicht gleich gesagt?"
„Weil wir jetzt zu dem Punkt kommen, an dem ich dich angelogen habe."
Seine Stimme klang ganz tonlos, als er das sagte. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.

„Du kanntest meinen Bruder, hättest ihn auf der Straße vermutlich erkannt!"
Dieser Satz warf mich total aus der Bahn.
„Wie bitte?"
„Du hast mich schon verstanden."
„Wie heißt er...?"
„Bitte werfe mir nichts vor, wenn ich es dir sage."
„Meine Güte, Atlas! Jetzt sag es endlich verdammt!"
„Du bist aber aufbrausend unterwegs heute!", kurz lachte er rau auf, ehe wieder dieser furchtbare Schatten in seinem Gesicht einzog.

„Kann man es mir vorwerfen?"
Atlas schüttelte nur mit dem Kopf: „Nein. Das kann man nicht. Ich hätte auch verstehen können, wenn du gar nicht mehr mit mir hättest reden wollen, nachdem ich verschwunden war."
Sein Blick war wehleidig geworden.

„Wie heißt er?"
Atlas schloss kurz die Augen und ich bemerkte, wie ich die Hände heftig zu kneten begann.
„Rhone. Rhone Soul."

Ich kippte beinahe von meinem Stuhl.
Soul? Rhone Soul? Das konnte nicht wahr sein! Wie war das möglich?

„Es ist okay, wenn du jetzt wütend auf mich bist..."
„Soul. Atlas Soul??? Warum hast du mir das verschwiegen?"
„Weil du für mich ein Weg warst, meinen Verpflichtungen und all der Aufmerksamkeit die auf mir liegt, wenigstens ein wenig zu entfliehen. Du hast mich nicht erkannt. Kaum einer würde mich erkennen. Ich bin schließlich nur der kleine Bruder. Das war ich zumindest. Jetzt ändert sich alles, Avery! Schon jetzt kursieren überall Bilder von mir im Netz herum; Atlas Soul der neue Thronfolger!"

„Ich fasse es nicht! Ich kann es einfach nicht fassen! Wie ist das möglich?"
„Glaub mir, ich hab mir das nicht ausgesucht. All die Jahre stand ich im Schatten meines Bruders. Im Grunde konnte ich tun und lassen was ich wollte, weil niemand meinem Tun wirklich Beachtung geschenkt hat. Und ja, ich hab das genossen! Ich wollte nie, dass es soweit kommt. Aber jetzt wo mein Bruder tot ist, richten sich alle Augen auf mich, den zukünftigen Thronfolger."

Ich wusste nicht, ob mein Hirn dazu in der Lage war, diese Informationen richtig zu verarbeiten. Rhone Soul war mir selbstverständlich immer ein Begriff gewesen. Ich hatte auch gewusst, dass er einen Bruder hatte, wäre aber niemals in der Lage gewesen, diesen Bruder näher zu beschreiben.
Meine Güte, wie hatte mir das bloß passieren können?? Wie hatte ich mit einem Prinzen verkehren können, ohne dass es mir überhaupt aufgefallen war?

„Da wäre noch etwas... Da ich nun im Rampenlicht stehe, werden es meine Kontakte auch. Insbesondere meine Freundin wird es. Leute lieben doch Gerüchteküchen bei dem Thema. Es wird nicht lange dauern und jeder wird wissen, dass wir zusammengehören. Und genau deshalb möchte ich dir die Chance geben, auszusteigen bevor das mit dir passiert. Wenn du magst, können wir das hier und jetzt beenden bevor es zu spät ist!"

Ich schluckte: „Magst du es denn? Beenden meine ich?"
„Es wäre so ziemlich das letzte, was ich wollen würde. Ich möchte aber, dass du das unabhängig von dem, was ich will entscheidest."
„Ich will dich nicht verlassen!", flüsterte ich.
Atlas lächelte sanft.
„Ich gebe dir trotzdem nochmal Zeit, um darüber nachzudenken. Wenn die Gerüchte einmal erst brodeln, Avery, dann brodeln sie! Und es ist nicht mehr umzukehren. Ich habe dabei keine Wahl, du schon. Ich schreibe dir morgen und frage dich dann erneut."

Langsam erhob er sich von seinem Stuhl.
„Sei dir bewusst, dass auch gewisse Verpflichtungen von dir erwartet werden, solltest du dich für mich entscheiden. Es wird nicht ganz einfach!"

Ich schluckte wieder schwer.
„Ich werde jetzt gehen, morgen erwarte ich deine Entscheidung!", mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand aus meiner Wohnung.

Wie versteinert blieb ich auf meinem Stuhl sitzen, hörte nur, wie die Tür dumpf hinter ihm zufiel und er mich, wieder einmal, allein zurückließ.

Wie hatte ich so dämlich sein können, dass mir nicht eher aufgefallen war, dass ich mich in einen Prinzen verliebt hatte. Meine Güte, ich hatte ja nicht einmal seinen Nachnamen gewusst.

Seinen Nachnamen....
Mit fahrigen Fingern nahm ich mein Handy aus meiner Tasche und tippte Atlas Soul ein.
Ich wurde geradezu erschlagen von Berichten und Artikeln. Die meisten waren nur wenige Stunden alt.

Kleiner Bruder neuer Thronfolger
Wer kennt Atlas Soul?
Atlas Soul der neue Thronfolger
Ein Fuck Boy als Thronfolger? Ob das gut geht?
Plötzlicher Tod von Rhone Soul


Ich scrollte durch einige Artikel durch, bis ich plötzlich auf eine Entdeckung stieß, die mir mein Handy aus meinen Händen entgleiten ließ.
Das konnte nicht wahr sein!
Ich hatte einen Artikel gefunden, gerade einmal vor zehn Minuten veröffentlicht, auf dem ein großes Bild von mir prangte. Ein Bild, auf dem ich an meiner Wohnungstür stand und Atlas böse anfunkelte.
Es musste gemacht worden sein, als Atlas mich gerade eben besucht hatte.
Ach du meine Güte!

Sex(y) in der BoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt