Kapitel 51

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Avery

Als ich die Augen aufschlug, hatte ich im ersten Moment fürchterliche Kopfschmerzen von dem grellen Licht der Neonlampen an der Decke. Außerdem pochte meine Brust schmerzhaft.

Es dauerte einen Moment, bis ich mich immerhin soweit orientiert hatte, dass ich mit Gewissheit sagen konnte, dass ich mich ganz sicher nicht zuhause, sondern in einem Krankenhaus befand. In etwa genauso lange dauerte es auch, bis ich Atlas entdeckte. Er saß auf einem Stuhl gleich neben meinem Bett und musste wohl irgendwann eingeschlafen sein, denn sein Kopf lag auf meinem Oberschenkel und er hatte die Augen geschlossen. Ein paar einzelne Strähnen hingen ihm dabei vor die Augen.

An der Tür stand irgendein fremder Typ, der mich jedoch mit keinem Blick beachtete, sondern stattdessen starr aus dem Fenster starrte. War das eine von Atlas Leibwachen?

Plötzlich schoss mir wieder das Bild in den Kopf, wie Rhone sich vor mich geworfen hatte, um mich zu retten. Meine Güte, war er wirklich tot? Oder hatte er es vielleicht doch noch geradeso geschafft?

"Avery?", Atlas schien bemerkt zu haben, dass ich wach geworden war. Seine Stimme klang rau und er wirkte auf mich, als hätte er ein unfassbares Schlafdefizit. Trotzdem hob er direkt seinen Kopf an und schob seinen Stuhl beiseite, um näher an mich heran zu treten und mir tief in die Augen zu schauen, als würde er dadurch besser herausfinden können, ob es mir auch wirklich gut ging. Mit der rechten Hand hatte er die Meine umfasst und ich konnte die angenehme Wärme spüren, die von ihm ausging.

"Wie geht es dir? Geht es dir gut?", fragte er trotzdem noch einmal, während er über meinen Kopf hinweg griff, um die Klingel zu drücken, um eine Schwester zu rufen.

"Was ist mit Rhone? Lebt er noch?" Eigentlich war mir klar, dass er nicht mehr leben konnte, ich brauchte nur an all das Blut zu denken! Aber dennoch ruhte in mir noch ein klitzekleiner Funken Hoffnung, er könne es vielleicht doch noch überlebt haben.

Atlas wandte leicht den Kopf ab. Vielleicht befand sich in seinem Auge auch eine Träne, die er vor mir verstecken wollte? Jedenfalls schüttelte er ihn leicht, während er leise flüsterte: "Nein, Avery. Er hat es nicht geschafft."

Es fühlte sich an, wie ein Messerstich, der sich in meine sowieso schnon schmerzende Brust grub. Das durfte nicht sein! Er war gestorben, um mich zu retten; die Kugel hätte mich treffen sollen - was sie im Grunde ja auch getan hatte. Aber sie hätte eben nur mich treffen sollen. Ich schluckte.

"Avery, es ist nicht deine Schuld, dass er tot ist. Es war ganz allein seine Entscheidung, dein Leben über das Seine zu stellen. Und ich bin ihm unfassbar dankbar, dass er das getan hat. Er wusste, was du mir bedeutest. Rhone war mit seinem Leben nie glücklich." Mal wieder schien er meine Gedanken geradezu gelesen zu haben.

Bevor ich darauf etwas hätte erwidern können, kam auch schon die Schwester in den Raum hineingeschneit.

"Hervorragend, Sie sind endlich wach!", stellte sie lächelnd fest.

"Sie müssen viel trinken. Sie haben sehr viel Blut verloren!" Sie stellte eine Glasflasche neben mein Bett auf den Nachttisch. Ganz automatisch nahm Atlas die Flasche in die Hand und schenkte mir ein.

"Aber sie haben noch einmal Glück gehabt, die Kugel hat ihr Herz nur leicht angekratzt. Im Groben müssen Sie sich nun einfach noch ein wenig ausruhen und Ihrer Wunde die Zeit geben, die sie braucht, um zu verheilen. Das kann durchaus ein paar Wochen dauern, ich bin aber sehr zuversichtlich, dass es Ihnen schon deutlich früher wieder sehr gut gehen wird! Letztlich haben wir nur die Kugel entfernt, die entsprechenden Stellen zugenäht und Ihnen Blutinfusionen gegeben, um den Blutverlust wieder auszugleichen. Allerdings hätte es bei Ihnen wirklich auch anders ausgehen können!" Kurz warf sie einen Blick auf meinen Verband, bevor sie mir einmal Sauerstoffgehalt und Blutdruck maß.

"Ihnen geht es soweit gut?"
Ich nickte.

"Hervorragend, das werde ich gleich so weiter geben!", und mit diesen Worten verschwand sie auch schon wieder aus dem Raum.

"Tut es arg weh?", erkundigte sich nun auch Atlas, während er mir das Glas mit dem Wasser reichte.

"Es geht schon!", erwiderte ich, während ich gierig das Glas leer trank. Meine Güte, ich hatte gar nicht bemerkt, wie trocken mein Mund gewesen war! Atlas schenkte mir sofort nach und wir widerholten das Spiel noch zwei weitere Male.

"Ich habe übrigens deine Mutter hierüber informiert. Sobald du hier draußen bist, werden wir sie besuchen!"
Ich nickte. Das würde ein Spaß werden, ihr zu erklären, wie es zu dieser Schusswunde gekommen war...

"Was genau weiß sie?"

"Noch nicht... allzu viel! Da wäre nämlich noch etwas! Du weißt, dass alles im königlichen Palast in einem empfindlichen Gleichgewicht liegt, Avery?"
"Worauf willst du hinaus?"
"Meine Mutter wollte dich umbringen. Und nicht nur das, sie hat ihren eigenen Sohn umgebracht! Nun ist es aber so, dass wir es nicht zulassen können, dass diese Information an die Öffentlichkeit gelangt, so sehr ich es meiner Mutter auch gönnen würde. Unsere Leute sind schon dabei, das Ganze zu vertuschen. Das mit Rhone wird am Ende wie ein Unfall aussehen und meine Mutter... sie wird unauffällig von der Bildfläche verschwinden und eingesperrt werden. Man wird sich da schon irgendeine Begründung ausdenken! Deswegen solltest du auch deiner Mutter besser nichts über diesen Herrgang erzählen. Wir werden schauen, was du am besten dazu sagst!"

Er wollte, dass ich die Verbrechen seiner Mutter tot schwieg? Ungläubig sah ich ihn an. Immer mehr fragte ich mich, wie verdammt krank dieses monarchische System bei uns bloß war.

"Wenn es dein Wunsch ist, Atlas!", stimmte ich schließlich zu.

"Danke, Avery! Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss, gerade du hast jedes Recht, zu wollen, dass meine Mutter dafür vom ganzen Land verachtet wird. Aber vergiss nicht, ich habe auch meinen Bruder verloren und beinahe...", er stockte kurz: "... beinahe hätte ich auch dich verloren!"

Sanft strich er mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und küsste mich vorsichtig auf die Stirn.

Vorsichtig versuchte ich mich aufzurichten, doch Atlas drückte mich direkt wider zurück.

"Noch nicht Liebes. Du stehst sicherlich noch unter Schmerzmittel, deswegen tut es nicht so weh. Aber du musst dich schonen! Du bist gerade erst dem Tod von der Schippe gesprungen."
"Das weißt du nicht, Atlas! Vielleicht war mein Zustand ja auch gar nicht so kritisch, wie du die ganze Zeit tust!"

Du bist davon bewustlos geworden, Avery!, schoss es mir durch den Kopf, doch ich ignorierte meine innere Stimme.

"Na gut, ich weiß da etwas, das dir bestimmt helfen wird. Auf jeden Fall mal psychisch!"
"Ach ja?", neugierig sah ich ihn an.

Atlas grinste.

Sex(y) in der BoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt