Kapitel 41

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Atlas

Nachdem Avery mich alleine in dem Raum zurückgelassen hatte, blieb ich noch einen kurzen Moment kraftlos liegen.

Alles in mir tobte bei dem Gedanken daran, wie meine Mutter sich Avery gegenüber verhalten hatte. Würde sie mich nun wegen ihr verlassen? Weil sie keine Furie ertrug?
Der Gedanke verursachte eine eisige Gänsehaut auf meiner Haut.

Ich registrierte, dass der Gedanke, sie könne mich verlassen, in mir nicht nur irgendein Unbehagen auslöste; er löste planke und gnadenlose Angst in mir aus. ich konnte mir mein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen, verdammt!

Ich hatte schon mit so vielen Mädchen zu tun gehabt, aber keines war wie sie gewesen. Und dabei vermochte ich nicht einmal genau zu betiteln, was genau es war, das mir so an ihr imponierte. Ihre Art? Ihr Aussehen? Sicherlich beides. Ich brauchte sie mir nur vor meinem Auge bildlich vorzustellen, wie elegant, ja gar majestätisch sie in dem Kleid, das ich ihr geschenkt hatte, gewirkt hatte. Wie eine Königin. Und das war sie auch! Zumindest für mich; meine kleine Königin!

Wie vom Blitz getroffen sprang ich plötzlich aus meinem Bett heraus und streifte mir auf die schnelle eine Boxershorts über. Für mehr reichte es aber auch schon nicht mehr. Denn bereits im nächsten Moment warf ich mich gegen die dicke Holztür, die mein Zimmer von dem Flur abgrenzte.

Kaum draußen rannte ich halbnackt den Flur entlang. Avery mochte zwar schon einen gewissen Vorsprung haben, allerdings würde sie vermutlich kaum derartig durch den Flur rennen, wie ich es gerade tat und außerdem kannte sie sich nicht einmal ansatzweise so gut hier aus, wie ich es tat. Mit anderen Worten, dass ich sie einholte, war eigentlich schon sicher.

Ich rannte an ein paar Bediensten vorbei die mich verwundert anschauten. Insbesondere die Blicke der Weiblichen konnte ich förmlich auf meiner Haut brennen spüren. Aber auch dafür hatte ich, nicht wie sonst, keinerlei Blick.

In Anbetracht des Tempos, das ich zurücklegte, dauerte es auch nicht sonderlich lange, bis ich den Ausgang erreicht hatte. Kurz hielt ich inne, um wieder zu Atem zu kommen, dann verließ ich das Schloss durch die Tür.
Hatte sie es etwa schon bis ganz nach draußen geschafft? In der kurzen Zeit?

Unten am Hof parkten die Autos meiner Familie. Daneben standen Oskar und noch ein paar andere Bedienstete, und rauchten gemütlich, in der ständigen Bereitschaft, einen von uns durch die Gegend zu karren.

Normalerweise hatte Oskar auch andere Pflichten. Er war soetwas wie mein Leibwächter. Aber ich hatte etwas Privatsphäre für mich und Avery gewollt, weshalb ich ihm aufgetragen hatte, sich zu den anderen zu gesellen.

Total außer Atem kam ich also bei der Dienerschaft an: "Habt ihr... Avery... gesehen?", schnaufte ich.

Belustigt sahen sie mich an. Die meisten versuchten zumindest, ihren Gesichtsausdruck förmlich mit ihrer Hand zu kaschieren. Es ziemte sich nun einmal nicht, über den zukünftigen Thronfolger zu lachen.

Aber ich musste zugeben, es musste schon sehr schräg aussehen, wie ich so in meinen Boxershorts da stand, gänzlich außer Atem.

Meine Güte, ich musste wirklich mal an meiner Ausdauer feilen!

"Nein, hier war niemand, Atlas!", Oskar sah mich mitfühlend an.
"Bist du dir wirklich sicher, Oskar?"

"Goldsischer!"
"Dann muss sie sich im Schloss verirrt haben!", verzweifelt schlug ich mir die Hände an den Kopf.

"Das ist nicht unwahrscheinlich!", gab er mir recht.

"Soll ich bei der Suche behilflich sein?"

"Ich bitte darum!"

Eilig rannte ich zurück zum Eingang, nur um die Wachen einer Befragung zu unterziehen: "Ist Avery hier vorbeigekommen?"
Ratlos sahen sich die Beiden an.
"Nein, hier war niemand!"

Angestrengt atmete ich einmal tief durch.

"Wir finden sie schon. Das Gebäude ist ja nicht unendlich groß!" Oskar hatte mich inzwischen erreicht und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Tatsächlich war er auch das, was man als ehesten als meinen Freund bezeichnen konnte.

Hastig rannte ich an den Wachen am Eingang vorbei, rief laut Averys Namen und fragte ausnahmslos jede Person, an der ich vorbeikam, ob sie sie gesehen haben mochte. Doch keiner vermochte mir zu helfen.

Schließlich blieb ich bei einer rothaarigen Köchin hängen, die gerade dabei war, für heute Feierabend zu machen.

"Hast du Avery gesehen?"
"Das Mädchen, mit dem Ihr zusammen seid?"
"Ganz recht. Blonde Locken, rotes Kleid, in etwa so groß...", ich deutete mit der Hand ihre ungefähre Größe an.

"Die habe ich tatsächlich eben gesehen!"
Erleichtert atmete ich auf und ignorierte dabei ihren interessierten Blick, mit dem sie mich ausgiebig, viel zu lange als schicllich gewesen wäre, musterte.

"Wo ist sie hin?"
"Mmmh. Keine Ahnung. Da war so ein Typ bei ihr. Es wirkte auf mich, als wolle er ihr den Weg zeigen... Jedenfalls haben sie sich gerade darüber unterhalten, dass die Gänge anders aussehen, als sie sie in Erinnerung hat..."
"Wer war der Typ?"
"Schwierig zu sagen... ich habe ihn noch nie hier gesehen!"

"Aber er kannte sich anscheinend im Schloss aus! Ich dachte, ihr veranstaltet regelmäßig Feiern, bei denen sich das gesamte Personal trifft. Da wirst du ihn doch sicherlich einmal gesehen haben?"
"Wenn ich so recht nachdenke, nein. Das war eben wohl das erste Mal. Aber lasst euch gesagt sein, Ihr habt euch da wirklich eine reine Augenweide als Freundin ausgesucht! Sie sah umwerfend aus!"

"Danke...", erwiderte ich tonlos. Wenn der Typ sich hier auskannte, dann müssten sie doch schon längst den Eingang erreicht haben! Das Schloss war groß, aber so groß nun auch wieder nicht!

Der Nebeneingang! schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Mir war zwar schleierhaft, weshalb die beiden sich für den Nebeneingang entschieden haben sollten, insbesondere weil er ein großes Stück weiter zu laufen war, aber ich hielt die Option durchaus für plausibel.

Also rannte ich in meinen Boxershorts in Richtung Nebeneingang. Ich wusste, dass inzwischen schon relativ viel Zeit verstrichen war, doch ich musste sie noch unbedingt erwischen!

Als ich den Nebeneingang erreicht hatte, stockte mir bei dem, was ich durch die gläserne Tür sehen konnte, der Atem.

Da war ein Typ, der etwas in den Armen hielt. Bei genauerem Hinsehen konnte ich erkennen, dass es Averys Lockenpracht war, die von seinem Arm herunterbaumelte. Und ich konnte sehen, wie sie von Averys rotem Kleid geradezu eingehüllt wurden.

Meine Güte, was machte Avery bloß in den Armen dieses Mannes? Das konnte doch nie und nimmer freiwillig sein, oder?
Erst im zweiten Moment fiel mir auf, wie reglos sie dahing. Oh Gott, sie war betäubt! Der Gedanke traf mich wie ein tiefer Schlag in die Magengrube.

Noch immer halbnackt rannte ich das letzte Stück des Flures entlang und stieß die Glastür auf. Der Mann schien mich bemerkt zu haben, denn er beschleunigte sein Tempo und ich konnte gerade noch sehen, wie er eine Autotür aufriss und sie sich auf den Rücksitz schmiss, nur, um im nächsten Moment hinterherzuspringen.

Dann sprang das Auto auch schon an und der Wagen düste los. Die Autotür wurde direkt vor meiner Nase zugeschlagen und ich konnte nur noch sehen, wie Avery einmal matt blinzelte. Bevor sie auch schon gänzlich aus meinem Sichtfeld verschwand.
Für den Bruchteil einer Sekunde stand ich nur wie versteinert da, bis ich in Bewegung kam.

"Haltet sie auf! Das Auto darf nicht durchgelassen werden! Das ist eine Entführung!" Ich schire aus Leibeskräften, doch am Nebeneingang war wie gewöhnlich so wenig los, dass mich keiner mitbekam.

In meinen Boxershorts rannte ich quer durch den Garten des Schlosses, bis ich schließlich mein Motorrad erreicht hatte. Ich sprang geradezu drauf und zögerte keinen Moment, bis ich den Motor angeschaltet hatte.

Doch ich war viel zu langsam, das Auto hatte schon längst den Hof verlassen und war außerhalb meiner Reichweite, wie ich feststellen musste, nachdem ich einmal um den Block gefahren war.

Sex(y) in der BoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt