Kapitel 53

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Als ich zwei Tage später die Klinik endlich verlassen durfte, ich hatte hier im Grunde sowieso nicht mehr viel anderes gemacht, als es mit Atlas zu treiben, bestand er darauf, dass wir endlich meine Mutter aufsuchten und ich ihr noch einmal ein Lebenszeichen von mir präsentierte.

Natürlich willigte ich schnell in den Vorschlag, meine Mutter zu besuchen, ein, sodass wir schließlich begleitet von ein paar von Atlas Leibwächtern in die Straße der Wohnung meiner Mutter einfuhren. Ich hatte meine Mutter schon seit längerem nicht mehr gesehen, hatte also absolut keine Ahnung, wie sie zu den neuesten Entwicklungen stand. Aber konnte sie denn schon so schlimm sein, wie Atlas Mutter? Wohl kaum! Also, was hatte ich zu befürchten?
Trotzdem war ich etwas nervös, als ich den schwarzen SUV verließ. Irgendwie sehnte ich mich nach Atlas Motorrad zurück. Danach, wie der Wind mit meinen Haaren gespielt hatte, daran, wie ich mich an seinen Schultern hatte festkrallen müssen, damit ich nicht herunterfiel. Und so peinlich es auch war, es zuzugeben, ich sehnte mich schon wieder nach absoluter Zweisamkeit mit ihm. Alleine in irgendeiner Box mit ihm zu sein. Einer Box, in der es nur ihn und mich gab. Einer Box, in der wir schon einmal gewesen waren. In der Box...

Als ich an der Tür klingelte, dauerte es keine fünf Sekunde und meine Mutter stand schon an der Tür. Atlas wich mir keinen Zentimeter von der Seite. Ein wenig wunderte es mich schon, dass er die Zeit aufbringen konnte, mich unentwegt auf meinen Schritten zu begleiten. Hatte ein Prinz denn so wenig Verpflichtungen?

"Avery!", sie sprang geradezu auf mich zu und setzte zu einer Umarmung an, doch Atlas reagierte schnell und schob sich dazwischen.

"Die Wunde ist noch recht frisch!", erklärte er. Dankbar sah ich ihn an. Das wäre insbesondere bei ihrer überschwänglichen Art wirklich schmerzhaft geworden!
Verständnisvoll nickte meine Mutter uns zu und wir betraten die Wohnung.

Für Sex reicht es, aber du kannst nicht einmal deine eigene Mutter umarmen...- flüsterte mir mein inneres Stimmchen zu.

"Setzt euch!", wies sie uns an, als wir den Wohnbereich betreten hatten.

"Genna?", verdutzt sah ich sie an.

"Was machst du denn hier?"
Genna kam auf mich zu, doch auch dieses Mal schaffte es Atlas rechtzeitig, sie davon abzuhalten, mich kräftig zu umarmen. Ich fand es verdammt süß, wie er sich um mich sorgte.

"Deine Mutter hat mir erzählt, dass du im Krankenhaus warst und nun bei ihr vorbeikommst. Meine Güte, warum hast du denn nichts erzählt? Hast du mal Zeitung gelesen, Avery? Man zereißt sich geradezu den Mund darüber, was mit dir los ist!"

Zeitung hatte ich tatsächlich schon länger keine mehr gelesen. Wäre aber vielleicht besser gewesen, jetzt, wo ich so darüber nachdachte.

"Und was war das eigentlich für ein Bild von dir neulich?", anklagend deutete sie in Atlas Richtung. Dieser grinste nur verbissen: "Eines, das wohl die gesamte Welt gesehen hat, wie mir scheint."

"Sag mir, stimmt es, was in den Klatschblättern über dich steht, Avery?", fragend sah Genna mich an.

"Das würde mich tatsächlich auch mal interessieren!", kam es von meiner Mutter aus der Küche. Ich stöhnte. Das ging ja schon einmal gut los.

"Kommt auf das Klatschblatt an!", Atlas zwinkerte Genna zu, während er mich sanft an sich heran zog. Sein hölzerner Duft sorgte sofort dafür, dass mich eine unsagbare innerliche Ruhe umschlich.

"Ihr seht wirklich süß zusammen aus!", kommentierte Genna direkt.

"Schau mal hier, Avery!" Genna hielt mir einen Zeitungsartikel vor die Nase.

FREUNDIN DES THRONFOLGERS SCHWERVERLETZT?? MUSS ER SICH JETZT ETWA BALD EINE NEUE SUCHEN?
lautete die Überschrift. Darunter prangte ein Bild von mir, wie man mich gerade aus dem Krankenwagen schob. Das war doch wirklich irre, barbarisch und... und... Mir fielen keine Worte mehr dafür ein.

Wie konnte man denn jemanden fotografieren, der gerade bewusstlos in einem Krankenwagen lag? Auf dem Bild sah ich wirklich nicht allzu gut aus. Meine Wangen waren kreidebleich und meine Kleidung und mein Haar blutüberdströmt. Doch am meisten berührte mich die Person, die neben meiner Trage stand. Atlas hielt meine Hand feste umgriffen und in seinem Gesicht spiegelte sich absolute Verzweiflung wider. Es wirkte fast, als hätte neben ihm ein Komet einschlagen können, und er hätte es nicht bemerkt. Beinahe trat mir eine Träne in die Augen, so berührt war ich von dem Bild.

Trotzdem ging es niemanden etwas an!

Hastig überflog ich den Artikel, der zu dem Bild dazu stand:
Trauer. Trauer aus Angst um seine Freundin? Oder doch viel mehr darüber, dass seine scheinbar unendliche Suche nach einer Freundin doch noch kein Ende hat? Oder sollte er nicht eigentlich glücklich darüber sein, dass er sein Fuckboy-Leben vielleicht doch wieder aufnehemen kann?

Mal wieder Fragen über Fragen. Aber viel wichtiger ist doch die Frage: wie kam es überhaupt zu dieser Verletzung? Was ist geschehen? Wollte sie ihn erpressen, damit sie sein Geld bekommt und er hat sich wild verteidigt?  Aber aber! Muss man seine scheinbar-Freundin denn dabei wirklich fast umbringen?


Ich schnappte nach Luft, als ich das las.

"Atlas...," meine Stimme zitterte.

"Ich weiß, ich habe es schon gelesen."
"Warum hast du mir nicht gesagt, was da über uns steht?"
"Ich wollte dir deine Laune nicht verderben. Außerdem ist das ja nicht die einzige Story, die über uns in der Weltgeschichte herumkursiert. Die Leute wissen doch gar nicht mehr, was sie denken sollen!"
"Das stimmt allerdings!", pflichtete Genna ihm bei.

"jetzt fall du mir nicht noch in den Rücken, Genna!", anklagend hob ich die Arme.

"Tue ich doch gar nicht. Aber ich habe sicherlich schon fünf oder sechs andere Hypothesen über das Geschehen gelesen. Die Frage die sich mir allerdings stellt, ist die, ob irgendeines von den tausend Klatschblättern hier Recht hat, oder ob jedes hiervon irgendeine verdrehte Realität darstellt?"
"Kann ich dir nicht beantworten, das war die erste Story, die ich gerade über meinen Unfall gelesen habe," antwortete ich wahrheitsgemäß.

"Dann sag es mir bitte, Avery! Was ist denn geschehen? Meine Güte, ich glaube kaum, dass die das Blut an deinem Körper gefaked haben!"
"Zugetraut hätte ich es denen aber!", kommentierte Atlas dazwischen. Streng sah Genna ihn an.

"Was ist passiert? Wie ist das passiert? War das ganze Blut auf dem Bild, dass ich dir gerade gezeigt habe, alles echt?"
"Das würde mich allersdings auch mal interessieren!", kam es von meiner Mutter.

Ich seufzte und sah hilfesuchend nach Atlas. Immerhin war er es schließlich, der nicht wollte, dass ich irgendjemandem die Wahrheit erzählte.

Sex(y) in der BoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt