Nachdem sein bester Freund mit Mary zu der Lesung aufgebrochen war, entschloss Niall sich, Louis auf die Situation zwischen Harry und ihm anzusprechen.
Auch er konnte sich keinen Reim auf sein Verhalten machen.
„Was ist denn bloß los mit dir?", hakte er nach, sobald die Haustür ins Schloss fiel.
Louis wich seinem Blick aus - auch etwas, das Niall von ihm nicht kannte.
Irgendetwas schien hier ganz und gar nicht zu stimmen.
„Ich fühle mich nicht so gut", stammelte Louis und zog die Schultern nach oben. „Ich glaube, ich habe mich erkältet und dadurch auch nicht sonderlich gut geschlafen."
Niall beäugte den jungen Mann misstrauisch. „Warum musst du das dann an ihm auslassen?", wollte er wissen. „Du weißt doch, wie sehr er dieses Buch liebt. Natürlich möchte er gerne zu dieser Lesung gehen. Daran ist doch nichts Schlimmes."
Ein tiefes Seufzen bahnte sich den Weg aus Louis' Brust. „Ja, ich weiß", stimmte er ihm schließlich zu. „Du hast ja Recht."
„Aber?"
Wieder zuckte Louis die Schultern. „Ich schätze, ich war gerade ein ziemlicher Arsch."
Niall verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja, das kann man wohl so sagen", erwiderte er. „Du schuldest ihm eine Entschuldigung."
Wieder einmal dachte Louis, dass die Situation so viel einfacher wäre, wenn er sich einfach irgendwie erklären könnte.
Dann hätte es diese ganze Streitigkeit vermutlich nie gegeben und Niall würde ihn jetzt nicht ansehen, als wäre er ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen.
„Scheiße, Louis", fluchte er, „Du weißt doch, wie unsicher er nach dieser Sache mit Jack ist. Und ja, mir ist bewusst, dass das lange her ist - aber du weißt doch, wie feinfühlig er ist."
Auch da musste Louis ihm Recht geben.
Das schlechte Gewissen kroch Stück für Stück zurück in seinen Körper und erfüllte seinen Brustkorb, bis er sich anfühlte, als wäre er schwer wie Blei.
Unterdessen kam Harry zusammen mit Niall's Frau in der Bibliothek an.
Die Atmosphäre war besonders, irgendwie rustikal - das schummrige Licht sorgte für eine gemütliche Stimmung, während Harry den Geruch nach unzähligen, alten Büchern in der Nase hatte, die alle unterschiedliche Geschichten erzählten.
Er fühlte sich sofort wohl.
Seine Vorfreude auf die Lesung konnte auch sein Streit mit Louis nicht überschatten.
Dieses Buch hatte irgendetwas an sich, das ihn jedes Mal auf's Neue in seinen Bann zog. Es schien eine beinahe magnetische Wirkung auf ihn zu haben.
Mary fand es schön, wie fasziniert Harry von dem Roman war und tat ihm den Gefallen wirklich sehr gerne.
Wenn sie ihren Freund mit etwas so Einfachem wie einer kleinen Übersetzungsarbeit glücklich machen konnte, dann sollte es so sein.
Sie freute sich für ihn und hoffte, dass er aus den Informationen etwas Stoff für seine Klassenarbeit gewinnen konnte.
Sie besuchten also die Lesung, und während Mary alle Informationen zuverlässig mitschrieb, wünschte Harry sich, er hätte den Französischkurs im Studium nicht sausen gelassen.
Er hatte einfach nicht geglaubt, dass es ihm irgendwann einmal nützlich sein könnte.
Der Sprecher war ein junger Franzose, der so schnell sprach, dass Harry noch nicht einmal seinen Namen verstanden hatte.
Er fragte sich, wie Mary es schaffte, so schnell mitzuschreiben.
Trotz allem klebte er förmlich an seinen Lippen - und an dem zerlesenen Exemplar von Ephemeral in seinen Händen.
Die Lesung dauerte etwas mehr als eine Stunde, und obwohl Harry kein Wort verstanden hatte, hatte es sich für ihn nicht langweilig angefühlt.
Ganz im Gegenteil.
Doch die Aufregung in seinem Inneren wuchs mit jeder Minute an. Am liebsten hätte er sofort gewusst, was der junge Mann erzählte.
Als sie schließlich die Bibliothek verließen, konnte Harry es kaum erwarten, die Übersetzung von Mary zu hören.
Die junge Frau blickte auf dem Weg zum Auto nachdenklich auf ihre Notizen. „Am Anfang wurde der Inhalt des Buches zusammengefasst und lyrisch analysiert. Aber ich denke, da erzähle ich dir nichts Neues", begann sie schließlich und blätterte um. „Viel interessanter ist die Tatsache, dass man einen der Briefe aus dem Roman im Londoner Stadtarchiv gefunden hat."
Harry hielt einen Moment lang inne und blieb reflexartig stehen. „Was?"
„Ja, tatsächlich", antwortete Mary. „Das ist noch gar nicht so lange her."
Harry konnte mit seiner Aufregung kaum hinter dem Berg halten. „Das ist also der Beweis dafür, dass es sie wirklich gegeben hat."
„Ganz genau."
Mary grinste ihren Freund freudig an, als sie sah, wie die Erkenntnis zu ihm durchsickerte.
„Das hätte ich so nicht erwartet", gestand er.
Mary zuckte die Schultern. „Unverhofft kommt oft."
Während Harry in seiner Hosentasche nach dem Autoschlüssel suchte, musste er plötzlich wieder an die Tatsache denken, dass er zu Hause auf Louis treffen würde. Eine Klärung der Auseinandersetzung am Nachmittag ließ sich also nicht vermeiden - obwohl Harry absolut keine Lust hatte, sich den Abend vermiesen zu lassen.
„Wollen wir noch was trinken gehen?"
Ein Lächeln schlich sich auf Mary's Gesicht. „Klar", stimmte sie zu und fragte sich, wie lange es her war, dass sie das letzte Mal mit Harry etwas trinken gegangen war. „Niall ist schließlich bei den Kindern zu Hause."
Harry kicherte. „Vermutlich ist er schon einem Nervenzusammenbruch nahe."
„Das kann schon gut sein", zwinkerte Mary. „Aber das macht nichts. Lass uns noch kurz in eine Bar gehen, dann zeige ich dir, wie man in Frankreich ein Bier bestellt."
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Einen wunderschönen Freitagabend wünsche ich euch! :)
Wir haben es also ein weiteres Mal ins Wochenende geschafft. Puh ^.^
Ich hoffe, ihr hattet eine schöne Woche und freut euch über das Kapitel :)x
All the love,
Helena xx
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The Writer
FanfictionIn seinem Beruf als Lehrer hat Harry bereits einige Bücher gelesen, die ihn berührt haben. Trotz allem hat ihn nie ein Werk auf die gleiche Art und Weise gefesselt, wie ein Roman mit dem Titel 'Ephemeral' - doch der Autor des Buches bleibt ein Rätse...