15. Celeste

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Nach seinem nächsten Arbeitstag machte Harry sich auf den Weg in einen Buchladen, in dem er sich eine neue Lektüre für das bevorstehende Wochenende besorgen wollte.

Er wusste ganz genau, dass dieser Besuch wieder ausarten und ihn mindestens hundert Pfund kosten würde, auch, wenn er sich jedes Mal schwor, es dieses Mal anders zu machen.

Er konnte einfach nicht anders.

Er wusste nicht, was es war, das Büchern eine so wahnsinnige Anziehungskraft verlieh.

Stundenlang hätte er sich zwischen ihren Zeilen verlieren können.

Bücherläden hatten diese angenehme, ruhige Atmosphäre, fernab von jeglichem Alltagsstress.

Es roch nach bedrucktem Papier und die Leute flüsterten, wenn sie sich unterhielten.

Hier drin schien die Zeit still zu stehen.

Schließlich blieb sein Blick auf einer Ausgabe von Ephemeral hängen.

Noch immer auf Platz Eins.

Noch immer führte der Roman alle Bestsellerlisten an.

Harry hatte es mittlerweile bestimmt fünf Mal gelesen, und noch immer ließ ihn die Geschichte nicht los.

Ein junger Mann, der alte Tagebücher fand, in eine längst vergangene Zeit eintauchte und schließlich das längst verloren geglaubte Liebespaar wieder zusammenführte.

Nicht unbedingt die Art von Roman, die er normalerweise las. Eigentlich verabscheute er Liebesschnulzen und würde freiwillig keine freie Minute damit verbringen, eine zu lesen.

Aber in diesem Buch spielte die Liebesgeschichte nur eine untergeordnete Rolle.

Viel mehr ging es um die Geschichte, die uralte Schriften erzählen konnten, noch Jahrzehnte und Jahrhunderte, nachdem sie verfasst worden waren.

Einen Moment lang drehte er das Taschenbuch in seinen Händen und las die ersten Zeilen des Prologs:

Zu früh, und doch zu spät, aber letztendlich pünktlich.

Eigentlich existierte kein zeitlicher Ablauf mehr.

Er war durcheinander geraten und vergangene Ereignisse schwebten auf einer feinen Grenze zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart.

„Kann ich Ihnen helfen?", wurde Harry schließlich von einer Angestellten aus seinen Gedanken gerissen.

Er zuckte erschrocken zusammen, weil er sie gar nicht hatte kommen hören.

Vor ihm stand ein junges Mädchen, um die zwanzig Jahre alt. Ihre blonden Locken reichten bis zu ihren Hüftknochen.

„Ein wirklich gutes Buch", kommentierte sie und zeigte auf die Ausgabe in Harry's Händen. „Sie sollten es wirklich lesen."

Harry lächelte freundlich. „Das habe ich schon."

Irritiert sah das Mädchen ihn an. „Und jetzt wollen Sie es nochmal kaufen?"

„Nein", schüttelte Harry den Kopf. „Ich denke darüber nach, es für die diesjährige Klassenlektüre auszuwählen."

Ein Lächeln umspielte die Lippen der jungen Frau. „Eine ausgezeichnete Wahl", antwortete sie. „Nur auf den Leserbrief am Schluss müssen Sie wohl verzichten. Der Autor ist anonym."

Harry seufzte. „Ja, ich weiß", gab er zurück. „Weiß man über ihn denn wirklich gar nichts?"

„Nein", sagte sie. „Niemand weiß so wirklich, wer er ist. Aber es gibt Gerüchte darüber, dass er aus unserer Stadt kommt."

The WriterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt