o7. Nicht meine Art

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Am Abend trafen sich die beiden Männer also zu wie verabredet zu einem Spaziergang im nebenanliegenden Wald.

Der Wind hatte sich ein wenig beruhigt, doch ein Blick in den Himmel verriet Harry, dass es nachts wahrscheinlich wieder regnen würde.

Die Blätter der Bäume leuchteten in allen möglichen Farben, die Luft roch nach feuchter Erde und nahendem Regen.

Einige der Blätter bedeckten den Gehweg, auf dem Harry und Louis neben einem leise plätschernden Bach weiter in den Wald hineingingen.

„Also, Harry...", durchbrach Louis irgendwann die Stille. „Erzähl mir etwas über dich."

Einen Moment lang dachte er über eine passende Antwort nach, fand allerdings keine. „Was willst du denn wissen?"

Ein wissender Ausdruck schlich sich in Louis' Blick. Als hätte er seine Antwort bereits gekannt, bevor er sie ausgesprochen hatte. „Was erscheint dir denn wichtig?"

Wieder ein Moment der Stille.

Harry biss sich nervös auf die Unterlippe.

Er wusste nicht, warum ihn diese Frage so nervös machte.

Er hatte keine Leichen im Keller und auch sonstige dunkle Geheimnisse konnte er eigentlich ausschließen.

Vielleicht war es genau das. Das langweilige Leben, das er bisher geführt hatte.

„Ich fürchte, da gibt es nicht sonderlich viel zu erzählen", zuckte er die Schultern und steckte die Hände in die Jackentaschen. „Klassische Kindheit auf dem Land, typische Studienlaufbahn und natürlich der Umzug nach London."

Louis lächelte. „Warum bist du Lehrer geworden?"

Harry war erstaunt, weil Louis nicht locker ließ. Die Flügel der Schmetterlinge kitzelten mittlerweile sogar seinen Kehlkopf.

„Ich glaube, mich hat Literatur schon früh fasziniert", gab er wahrheitsgemäß zur Antwort. „Ich konnte mir nie vorstellen, etwas anderes zu tun."

„Und warum Geschichte?"

Harry zuckte die Schultern, „Meine Mutter war Geschichtslehrerin."

War?

Louis wunderte sich.

Er entschloss sich allerdings, Harry nicht sofort darauf anzusprechen.

Möglicherweise handelte sich auch nur um einen Versprecher - ganz abgesehen von der Tatsache, dass es ihn ja eigentlich auch gar nichts anging.

Harry würde hoffentlich selbst auf ihn zukommen, wenn er ihm etwas erzählen wollte.

Da wollte er ihn nicht unnötig unter Druck setzen.

„Und du?", riss Harry ihn schließlich neugierig aus den Gedanken.

Louis atmete die frische Herbstluft tief ein und spürte einen Wassertropfen im Gesicht.

Er konnte nicht sagen, ob es begann zu regnen, oder ob der Tropfen sich aus einer Baumkrone gelöst hatte.

„Ich habe schon immer lieber gelesen, als gearbeitet", gab Louis zur Antwort.

Er sprach außergewöhnlich ruhig, noch immer, doch Harry fiel auf, dass es das erste Mal war, das Louis ihm etwas von sich erzählte - abgesehen von den Büchern, die er gerne las.

Ein Lächeln hob Harry's Mundwinkel. „Perfekt, wenn sich das verbinden lässt."

Louis nickte und lächelte zurück. „Allerdings", pflichtete er ihm bei. „Aber ich habe nicht in London studiert. Ich bin erst nach dem Studium dort hingezogen."

The WriterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt