Am nächsten Tag war das Wetter draußen viel zu schlecht, um das restliche Dorf zu erkunden.
Ein Gewitter war über das Elsass gezogen und schickte in regelmäßigen Abständen Blitze und Donner über den Himmel.
Draußen war es düster und es regnete in Strömen.
So waren die Freunde also gezwungen, den Tag im Wohnzimmer von Mary's Eltern zu verbringen, die gerade zusammen mit den Mädchen zum Einkaufen aufgebrochen waren.
„Was für ein Wetter", grummelte Niall. „Da ist es nun auch wirklich kein Wunder, wenn man sich erkältet."
Harry grinste, während er das Feuer beobachtete, das im Kamin langsam vor sich hin knisterte.
Eine angenehme Wärme ging von ihm aus.
Eng schmiegte er sich an Louis, der sanft mit den Fingern über seinen Rücken strich.
Am liebsten hätte Harry diesen Moment für immer festgehalten.
Es war wahnsinnig schön, all seine besten Freunde vereint zu haben, in Louis' Armen zu liegen und das draußen tobende Gewitter zu beobachten.
„Ich hab Bauchschmerzen", jammerte Niall und presste sich die Wärmflasche fester auf den Bauch. „Das fühlt sich an, als hätte ich Wehen."
Empört schnappte Mary nach Luft. „Was hast du da gerade gesagt?"
Harry schüttelte amüsiert den Kopf. „Solche Vergleiche gehen doch nie gut aus, Niall."
Louis kicherte. „Das ist wohl wahr."
„Du hast doch jetzt bitte keine Geburt mit deinem harmlosen Männerschnupfen verglichen", stellte Mary fassungslos fest.
Harry hatte das Gefühl, seinem Freund zur Seite stehen zu müssen. „Naja", beschwichtigte er, „Eine Männergrippe ist ja auch schlimm."
„Ich schenke euch allen dreien einen Gutschein für den Wehensimulator", sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Freut euch schon auf Weihnachten."
„Eigentlich wäre das doch wirklich interessant", überlegte Louis.
Niall schüttelte irritiert den Kopf. „Hast du sie noch alle?"
„Naja, solang man jederzeit Pause drücken kann, kann das doch ganz witzig sein", schmunzelte der junge Bibliothekar.
„Ist es nicht", schaltete Mary sich ein. „Wenn du es unbedingt wissen willst: Es fühlt sich scheiße an. Absolut scheiße. Du kannst es dir ungefähr so vorstellen, als müsste da eine Wassermelone aus dir raus. Und damit diese Wassermelone aus dir raus kann, muss deine Gebärmutter sich regelmäßig zusammenziehen. Und das wiederum fühlt sich ungefähr so an, als würde jemand mit einem Mixer durch deinen Bauch fahren. Dann muss die Wassermelone durch dein Becken durch Richtung Ausgang. Ganz zum Schluss fühlt es sich dann so an, als müsstest du groß. Dann ist die Wassermelone da. Fertig."
Entgeistert saß Harry auf seinem Platz am Sofa und war sich nicht sicher, was er da gerade gehört hatte.
Zwar hatte er gewusst, dass Mary bei beiden Geburten durch die buchstäbliche Hölle gegangen war, aber er hatte sich nie großartig Gedanken darüber gemacht.
„War es denn beim zweiten Kind nicht leichter?", wollte Louis sachlich von ihr wissen.
Mary seufzte und schüttelte den Kopf. „Hanna war ein Notkaiserschnitt."
Louis schluckte. „Oh, das tut mir leid..."
„Nein, schon okay", sagte sie und zuckte die Schultern. „Die Ärzte haben im richtigen Moment reagiert und meiner Tochter und mir das Leben gerettet. Da ist eine Notoperation das kleinere Übel."
Niall lächelte stolz und nahm die Hand seiner Frau in die seine. „Du bist so tapfer."
Mary zuckte die Schultern und war dankbar, dass er ihre abendlichen Angstattacken in den ersten Wochen nach der Geburt den anderen gegenüber unerwähnt ließ.
„Du hast das toll gemacht", stärkte auch Harry ihr den Rücken. „Niall hat mir da mehr Sorgen gemacht."
Niall verdrehte die Augen. „Jetzt übertreib nicht."
Harry grinste. „Du wärst fast in Ohnmacht gefallen", plauderte er, „Und du hast mich vor dem Operationssaal angerufen und mich gebeten, dir die Zeitung vorzulesen, um dich auf andere Gedanken zu bringen."
Louis konnte sich ein lautes Lachen nicht verkneifen. „Deine Nerven möchte ich haben."
„Ich brauchte irgendeinen anderen Input", verteidigte Niall sich. „Die haben mir fünf Minuten vorher gesagt, sie müssen meine Frau sofort operieren, weil das Kind so schlechte Herztöne hat. Sie hat geweint und sie hatte Angst, völlig verständlicherweise. Aber wenn ich auch noch die Nerven weggeschmissen hätte, hätten wir einpacken können."
Mary grinste und strich ihrem Mann behutsam durch das Haar. „Du hast die Nerven dann erst danach weggeschmissen."
Harry konnte sich noch genau daran erinnern, wie Niall ihn angerufen hatte, sobald er die Nachricht bekommen hatte, dass Mary und das Kind wohlauf waren und dass er bald zum ersten Mal sein Kind würde auf dem Arm halten können.
Während Mary versorgt wurde, begutachtete der Kinderarzt die Kleine.
Niall hatte Rotz und Wasser geheult, weil er so erleichtert darüber war, dass diese Geschichte noch einmal gut ausgegangen war.
Louis beobachtete Niall und Mary einen Moment lang und er stellte fest, dass die beiden irrsinnig liebevoll miteinander umgingen.
Sie wussten alles voneinander, teilten alles miteinander und trugen Stumm auf ihren Lippen, was niemand außer ihnen wissen sollte.
Eigentlich war es genau das, was auch er sich immer gewünscht hatte.
Und eigentlich war er auch nur einen Millimeter davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen.
Es gab nur eine Sache, die ihn von dem trennte, was er sich am meisten wünschte: sein Geheimnis.
Er wollte es loswerden.
Unbedingt.
Doch ihm war klar, dass er einen passenden Zeitpunkt am Anfang längst verpasst hatte und dass es nun keinen passenden Zeitpunkt mehr gab.
Er hatte Angst vor Harry's Reaktion, noch dazu war er sich überhaupt nicht sicher, ob er diese überhaupt erahnen können wollte.
Er hatte selten Angst, eigentlich beinahe nie.
Aber in diesem Fall war es anders.
Harry bedeutete ihm etwas, deshalb hatte er ihn ursprünglich auch gar nicht anlügen wollen.
Gerne hätte er ihm die Wahrheit gesagt und sich selbst einen Schubs in die richtige Richtung gegeben.
Aber so einfach war das leider nicht.
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Die guten alten Vergleiche mit den Wehen...😂🤌🏻❤️
Na, kennt ihr die auch?😅
Was denkt ihr, wie es weitergehen wird?🤍All the love,
Helena xx
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The Writer
FanfictionIn seinem Beruf als Lehrer hat Harry bereits einige Bücher gelesen, die ihn berührt haben. Trotz allem hat ihn nie ein Werk auf die gleiche Art und Weise gefesselt, wie ein Roman mit dem Titel 'Ephemeral' - doch der Autor des Buches bleibt ein Rätse...