19. Besondere Menschen erfordern besondere Maßnahmen

377 81 40
                                    

Abends hatte Harry sich mit Louis in der Stadtbibliothek verabredet.

Abends um acht Uhr.

Zuerst hatte Harry sich über den späten Zeitpunkt gewundert, dann allerdings war ihm eingefallen, dass er sich ja auch an die Öffnungszeiten der Stadtbibliothek halten und warten musste, bis niemand sonst mehr dort war.

Eigentlich durfte sich nach der Schließung auch niemand mehr im Inneren des Gebäudes aufhalten, doch als Bibliothekar hatte Louis natürlich den Hauptschlüssel.

Niemand würde überprüfen, ob er wirklich pünktlich um Acht die Bibliothek verlassen hatte, um nach Hause zu gehen.

Denn heute war das ausnahmsweise nicht der Fall.

Heute hatte er sich besonders viel Mühe gegeben.

Er glaubte, guten Gewissens behaupten können, sich noch zu keinem einzigen Zeitpunkt in seinem Leben so große Mühe für irgendjemanden gegeben hatte.

Denn Harry war nicht irgendjemand.

Harry der dieser Jemand.

Als Harry schließlich die altmodische Klingel der Bibliothek drückte, spürte er wieder das mittlerweile fast schon vertraute Flattern in seiner Magengegend.

Das machte es allerdings nicht weniger aufregend.

Ganz im Gegenteil.

Harry hatte beinahe das Gefühl, dass sein Herzschlag sich mit jedem Treffen ein kleines Bisschen mehr beschleunigte - was natürlich absoluter Unsinn war, doch er konnte diesem Gefühl keinen anderen Namen geben.

Als Louis ihm in dunklem Hemd und Jeans - und dieses Mal sogar mit Krawatte - die Tür öffnete, vermischte sich der von ihm ausgehende Duft nach Sandelholz und Vanille noch mit etwas anderem.

Neben den bedruckten Seiten der Bücher roch es nach Zimt und nach Orangenschalen, die jemand auf eine Heizung gelegt hatte, um ihren Duft im ganzen Raum zu verteilen.

Harry konnte das schummrige Halbdunkel hinter Louis erkennen, und als dieser zur Seite trat, um ihn hereinzulassen, traute er seinen Augen kaum.

Während Louis die Tür hinter ihm schloss, ließ er seinen Blick ungläubig hin- und her wandern.

Louis hatte sich eine wahnsinnige Mühe gemacht.

Der Raum, die Wendeltreppe, sämtliche Ecken und das Treppengeländer waren von Kerzen ausgeleuchtet, die bereits zu einem beträchtlichen Teil heruntergebrannt waren.

Sie steckten in alten Kerzenhaltern, von denen es Harry überhaupt nicht wunderte, dass Louis sie besaß.

Das Kerzenlicht flackerte, im Raum herrschte Stille und das einzige Geräusch, das an Harry's Ohren drang, war das Knistern der vielen, kleinen Flammen.

Und plötzlich spürte er Louis' Atem an seinem Ohr, der vorsichtig von hinten an ihn herangetreten war, um liebevoll mit seinen Fingerspitzen seinen Arm nach oben zu streichen.

Angefangen an seinem Handgelenk bis nach oben zu seiner Schulter.

So quälend langsam, dass Harry sich die feinen Haare in seinem Nacken aufstellten.

„Gefällt es dir?", fragte Louis flüsternd, und Harry glaubte, eine Spur Unsicherheit in seiner Stimme erkennen zu können.

Doch ihm fehlten die Worte.

Ihm fehlten die Worte, um beschreiben zu können, was diese Überraschung in ihm auslöste.

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", antwortete er also wahrheitsgemäß, während er sich zu ihm umdrehte und so ehrlich und unbeschwert grinste, dass Louis die Freude in seinen Augen sofort erkennen konnte. „Noch nie hat jemand etwas so Schönes für mich getan."
Louis spürte ganz deutlich, wie ihm ein riesiger Stein vom Herzen fiel.

The WriterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt