29. Meine eifersüchtige Assistentin

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Begeistert erzählte Harry von seinem Projekt und der Tatsache, dass er teilweise sehr überrascht von den Antworten seiner Schüler sei.

„Außerdem haben wir begonnen, den Schreibstil zu analysieren", fuhr er fort. „Briefe und Gegenwartserzählungen unterscheiden sich deutlich. Vielleicht wurden sie von zwei unterschiedlichen Personen verfasst, oder die Briefe hat es tatsächlich gegeben."

Louis, der eigentlich mit sich haderte und sich fragte, ob er Harry nicht endlich die Wahrheit sagen sollte, kannte natürlich die Antwort auf seine Fragen.

Eigentlich vertraute er ihm und mittlerweile konnte er sich ein Leben ohne Harry kaum noch vorstellen.

Während er ihn beobachtete, wie er redete, die leicht rötlich gefärbten Wangen und die schulterlangen Locken, die er sich immer wieder aus dem Gesicht strich, konnte er kaum fassen, wie viel Glück er eigentlich gehabt hatte.

Er, der sich nie groß darum bemüht hatte, einen Partner zu finden.

Obwohl er immer ein hoffnungsloser Romantiker gewesen war, so war er doch der Überzeugung gewesen, Dinge wie die wahre Liebe lediglich zwischen den Seiten alter Bücher finden zu können.

In der heutigen Zeit, in der alles so schnelllebig und ersetzbar war, konnte etwas so Empfindliches, und doch so Stabiles, doch gar nicht entstehen.

Weder lang- noch kurzfristig.

Immerhin war dazu eine Menge Zeit nötig, die die meisten Menschen gar nicht mehr hatten.

Harry allerdings hatte ihn eines Besseren belehrt.

Auch er war auf dem Seminar weit abseits der Zivilisation in einem ausgekühlten Kloster nicht auf der Suche nach einem neuen Mann an seiner Seite gewesen.

Irgendwie war es einfach passiert – obwohl er eigentlich gar nicht hatte hier sein wollen.

Louis konnte sich noch gut daran erinnern, wie er sich darüber geärgert hatte, seinen Trip nach Schweden so kurzfristig hatte verschieben müssen.

War es also wirklich fair, diesen Mann mit einer Lüge leben zu lassen?

Mit der Tatsache, dass Louis nicht ehrlich zu ihm war?

Warum fiel es ihm überhaupt so schwer, ihm reinen Wein einzuschenken?

Vermutlich lag es an der Angst, die er verspürte, wenn sich mögliche Szenarien in seinem Kopf ausbreiteten.

Natürlich würde Harry enttäuscht sein.

Er selbst würde sich vermutlich nicht anders fühlen.

Harry vertraute ihm. Er sprach mit ihm über die Dinge, die ihn belasteten und über die Dinge, die er liebte.

Im Gegenzug dazu wusste er eigentlich kaum etwas über Louis. Weder über dessen Vergangenheit, noch über die Dinge, die er tat.

Harry rückte näher an Louis heran, näherte sich ihm und küsste ihn sanft auf die Lippen.

Doch irgendetwas war anders.

Es dauerte nicht lang, bis er bemerkte, dass sein Freund gar nicht bei der Sache war.

„Was ist denn bloß los mit dir?", hakte er nach und griff besorgt nach Louis' Hand. „Geht es dir nicht gut?"

Louis zog seine Hand zurück, unbewusst, und doch konnte er den verletzten Ausdruck auf Harry's Gesicht erkennen.

„Doch", antwortete er, „Ich hatte einfach einen schlechten Tag."

Harry's Blick wurde etwas weicher. „Dann erzähl mir doch davon."

Einen Moment lang dachte Louis über eine passende Antwort nach, dann schüttelte er den Kopf. „Es war nichts Ungewöhnliches", erklärte er. „Es war einfach stressig."

Der junge Lehrer ließ entmutigt die Schultern sinken und spürte, wie sein Körper sich anspannte.

Das Gedankenkarussell in seinem Kopf begann, sich zu drehen.

Hatte er etwas falsch gemacht?

Gab es etwas, was Louis ihm sagen wollte?

Oder noch schlimmer: Wollte er sich eigentlich insgeheim von ihm trennen?

Louis bemerkte, dass Harry mit einem Mal ganz still war und in sein Inneres vertieft zu sein schien.

„Bitte mach dir keine Sorgen", lenkte er schließlich ein. „Es ist alles in Ordnung."

Nun war er es, der sich schlecht fühlte.

Er log Harry an.

Und, was noch viel schlimmer war: Er hatte keine Ahnung, was richtig und was falsch war.

„Du lügst", antwortete Harry mit einem verdächtigen Zittern in der Stimme, auch wenn er versuchte, nach außen hin nichts zu zeigen.

Louis seufzte und nahm Harry's Hand. „Bitte", sagte er, „Lass uns nicht streiten. Ich liebe dich, und ich hatte einfach einen verdammt harten Tag. Lass uns doch einen schönen Abend haben und noch einmal von vorn anfangen."

Harry war durcheinander und wusste nicht, ob er Louis glauben sollte.

Andererseits war da Niall's Stimme in seinem Kopf, die ihm riet, sich nicht ständig so viele Gedanken zu machen.

Louis hatte ihm schließlich nichts getan und im Grunde genommen war er es, der angefangen hatte, herumzuzicken.

„Tut mir leid", sagte er also und stieß ein tiefes Seufzen aus. „Ich hab seit der Sache mit Jack nur ständig Angst davor, dass jemand mir nicht die Wahrheit sagt..."

Louis schluckte und stand erneut vor der Frage, was er auf diese Aussage antworten sollte.

Er wollte nicht der gleiche Idiot sein wie der Typ, der Harry das Herz gebrochen hatte.

„Das verstehe ich", gab er also zurück. „Aber ich bin nicht er, und ich habe auch keine versteckte Frau zu Hause, die gerade im Schrank sitzt und wartet, bis du wieder weg bist."

Jetzt musste Harry selbst lachen. „Nur Celeste."

Louis beobachtete seine schwarze Katze dabei, wie sie bereits seit zwanzig Minuten auf seinen Füßen lag.

„Nur Celeste", zwinkerte er. „Meine eifersüchtige Assistentin."
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Hallo meine Lieben♥️
Ich wünsche euch einen wunderschönen Freitag!♥️

All the love,
Helena xx

The WriterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt