Kapitel XL

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"Wie hast du es erfahren?"
Wir setzten unseren Spaziergang fort und seit dreißig Minuten war es still zwischen uns, erst Boris Frage durchbrach die Stille. Ich schätze er hatte seine Gedanken mittlerweile ausreichend geordert, um das Gespräch fortzuführen.
"Ich hatte schon länger das Gefühl, dass sich in Anastasias Vergangenheit noch ein Geheimnis verbirgt, nur nicht welches."
Und leider hatte mich mein Gefühl nicht angelogen.
"Während unserer Flitterwochen wurde neben meiner Frau geschossen, doch entgegen meiner Erwartung kam kein Anruf aus Moskau. Kein besorgter Vater, der mir einen Vortrag darüber hält, dass ich seine Tochter nicht beschützt habe. Oder ein Anruf an seine Tochter, um zu fragen, wie es ihr geht und ob sie angst hat. Gar nichts. Das brachte mich zum Nachdenken."
Wir erreichten das Ende unseres Grundstücks und ich dirigierte uns zurück zum Haus.
"Danach erzählte Anastasia von dem Tod ihrer Mutter und von ihrer Entführung. Das feuerte meine Neugier nur noch mehr an, also begann ich etwas nachzuforschen."
Boris hörte mir die gesamte Zeit über gespannt zu, als würde ich ihm den Plot eines spannenden Filmes erzählen.
"Wasili hat keinen Cent für ihre Freilassung bezahlt. Weder für seine Frau, noch für seine Tochter. Du warst derjenige, der ihre Freilassung verhandelt und bezahlt hatte." Boris blieb plötzlich stehen, doch ich führte meinen Gedanken weiter fort.
"Natürlich war nicht dein Handeln das, was mich misstrauisch gemacht hat, immerhin bist du ihr Onkel und zuerst dachte ich, dass Wasili seinen Bruder gebeten hatte seine Tochter zu retten, doch das hat er nicht, hab ich recht?!"
Unsere Blicke trafen sich und seine Augen verrieten ihn, ehe er überhaupt ein Wort über die Lippen bringen konnte.
"Du hast das Geld aufgetrieben und bezahlt, weil dein Bruder es nicht tun wollte und das brachte mich zum nächsten Gedanken, wer lässt seine Tochter in Gefangenschaft, besonders, wenn diese Männer bereits seine Frau getötet haben?"
Ich hatte ein ziemlich leichtes Spiel meine Nachforschungen und Gedankengänge zu erklären, da Boris keinen Moment abstritt. Es ging schon lange nicht mehr darum wer recht und wer unrecht hatte, sondern nur noch um die Frage wie.

"Egal, wie schlecht Wasili meine Frau auch behandelt hat, wäre sie seine Tochter, dann hätte er sie gerettet. Niemand, nicht einmal der Teufel selbst, könnte sein eigenes Fleisch und Blut dem Feind überlassen." Dies zeigte auch, dass Wasili bereits zu dem Zeitpunkt wusste, dass Anastasia nicht seine leibliche Tochter war. Es war möglich, dass sich dort auch der Grund für sein Verhalten ihr gegenüber verbarg. All die Qualen und das Leid, welches sie in diesem Haus durchleben musste, findet ihren Ursprung genau in diesem Geheimnis.
"Aber natürlich war das noch nicht alles. Diese Information hätte man, auch wenn nur schwer, widerlegen können. Eine nicht zu erschütternde Onkel-Nichte Beziehung wäre eine Möglichkeit, immerhin ist Wasili offensichtlich nicht Vater des Jahres, sodass es nicht abwägig wäre, wenn sich Anastasia eine andere Männer Figur in dem Haus gesucht hätte."
Ich zog die Zeit absichtlich in die Länge, ehe ich mein Hauptargument eröffnete. Ich wollte, dass Boris jeden Schritt gut nachvollzog und selbst auf meine Bedenken kam, denn wenn ich dieses Geheimnis lüften konnte, dann Anastasia auch. Es würde zwar noch Dauern, bis sie die einzelnen Puzzleteile zusammen setzt, doch irgendwann würde dieser Moment kommen und dann wäre es besser, er hätte es ihr selbst gesagt.
Boris wollte gerade zum ersten Mal etwas zu meiner Erzählung sagen, doch ich gab ihm keine Möglichkeit.

"Und zur guter Letzt, der Schuss auf sie bei meiner Donverleihung."
Allein das Aussprechen brachte mein Blut wieder zum Kochen.
Ich verdrängte die Erinnerung an diesen Abend und führte meine Gedanken wieder zum Gespräch zurück.
"Dieser Mann, oder besser gesagt, die pure Verkörperlichung der Hölle, hat einen Killer engagiert, um sie zu erschießen, nur um sein dreckiges Geheimnis zu bewahren. Selbst, wenn ich geglaubt hätte, dass er in der Wahl zwischen seinen Kindern Ivan gewählt hätte und bereit war seine Tochter zu opfern, erklärt es nicht, wie ein Vater den Todesbefehl für seine Tochter geben konnte."

Wir erreichten den vorderen Garten und waren nur noch ein paar Meter von der Terrasse entfernt.
"All diese Puzzleteil führten mich zu der Annahme, dass er nicht ihr Vater sein konnte. Nun ja, und von dort aus war es nicht so schwer diese Behauptung zu bestätigen. Christiano machte eines eurer früheren Dienstmädchen ausfindig und ich stellte der alten Dame ein paar kurze Fragen."
Boris streckte seinen Arm aus und hinderte mich so am weiterlaufen.
"Du hast mit Sina gesprochen? Anastasia hat sie doch nicht gesehen, oder?"
Panik spiegelte sich auf seinem Gesicht wieder und auch, wenn Angst das dominierende Gefühl in seinen Augen war, so konnte ich erkennen, wie sehr er Anastasia liebte. Es war kein Geheimnis, dass sie ein gutes Verhältnis zu ihrem Onkel hatte, besonders jetzt, wo er ihr letzter Verwandter war. Gut zu wissen, dass sie ihm ebenfalls etwas bedeutete.

"Nein, die Frau genießt ihren Ruhestand in Sochie. Ich hab Christino hingeschickt und nur am Telefon mit ihr gesprochen. Doch das reichte aus, damit sie mir bestätigt, dass Wasili nicht Anastasias echter Vater ist."
Boris nickte langsam, als er die Information vergaute. Er muss wohl fürchten, dass Sina Anastasia die Wahrheit erzählt, nur das würde seine Reaktion erklären.
Wir blieben an der Stelle stehen und Boris sah mir eindringlich in die Augen.
"Sina war seit Elisawetas Hochzeit an ihrer Seite. Sie war für Anastasias Mutter mehr als nur ein Dienstmädchen. Elisaweta vertraute Sina ihre Geheimnisse an und diese verriet niemals ihr Vertrauen. Dass sie es jetzt getan hatte, ist schwer für mich zu glauben."
Nun ja, ich würde nicht sagen, dass sie es freiwillig getan hatte. Etwas Druck musste Christiano schon ausüben, eine Drohung hier, etwas demonstrative Gewalt da, doch nichts ernstes.
Dennoch wäre es besser, wenn ich dieses Detail für mich behielt.

Ich hob unwissend die Augenbrauen und Boris ließ das Thema ruhen.
"Gut, Wasilis Part haben wir zerlegt und feinsäuberlich auf die einzelnen Fächer gelegt. Über mich weißt du auch bescheid. Was jetzt jedoch noch unklar ist, was wir mit dieser Information machen."

Und damit kamen wir an den entscheidenden Punkt unseres Gespräches an.
"Falls du mich dazu überreden willst diese Information vor Anastasia geheim zu halten, dann spar dir deine Argumente."
Die Atmosphäre änderte sich schlagartig zwischen uns. Boris spannte sich an und auch ich zog alle Muskeln in meiner Schulterregion an.

"Dieses Geheimnis wird genau dort bleiben, wo es ist. Weder du, noch ich, noch ein Dritter wird ihr die Wahrheit sagen."
Meine Verständnislosigkeit wandelte sich zu Wut um. Wieso wollte er den nicht verstehen, dass Geheimnisse nicht für immer geheim bleiben. Früher oder später kommen sie ans Licht.
Besonders ein so wichtiges, wie dieses. Sollte Anastasia das jemals auf eigene Faust herausfinden, dann würde sie alles niederbrennen.
Nichts und niemand wäre vor ihrem Zorn sicher.

"Anastasia als Ausrede zu benutzten wird nicht funktionieren, darauf lass ich mich nicht ein. Wenn sie es nicht von dir erfährt, dann wirst du sie für immer verlieren. Die Wut, die doch erwartet sobald zu es ihr berichtest, ist nichts im Vergleich zu dem, was dir graut, wenn sie es selbst herausfindet."
Boris widmete sich kurz seinen Gedanken, ehe er mit dem Kopf schüttelte.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich mich erneut an ihn richtete.
"Ich lass nicht zu, dass du ihr wehtust!" Diesmal erhob ich meine Stimme. Ich hatte genug davon.

"Dann lass das Thema ruhen. Es ist besser, wenn alles Bein alten bleibt. Sie hat ihre Familie gefunden, sie ist glücklich an deiner Seite. Sie wird bald Mutter und sobald ihre Trauer und die Rache an ihrem Vater vorbei ist, dann wird sie auch wieder glücklich."

Ich verstand nicht, ob es Egoismus, Angst, oder wirklich Sorge war, doch er wollte die Quintessenz des Problems nicht verstehen.
"Du wirst sie also denken lassen, dass sie sich an ihrem echten Vater recht. Sie in dem Feuer lassen, in dem sie brennt, weil dieser Mann ihre Kindheit zur Hölle gemacht hat, ihre Mutter und Bruder getötet und sie versucht hat umzubringen?!"
Nun schrien wir uns beinahe an.

Ich wollte gerade wieder ansetzt, da drehte er sich blitzartig zu mir um.

"Weil ich nicht hier sein werde."
Er warf mir diese Worte förmlich ins Gesicht.

Eine erdrückende Stille legte sich über uns und ich zog verwundert die Augenbraun zusammen.

"Was heißt das, du wirst nicht hier sein?"

Boris Miene zeigte den Gesichtsausdruck eines gebrochen Mannes wieder, dessen Geheimnisse eins nach dem anderen gelüftet wurde.

"Meine Zeit ist begrenzt, Dante."

Ace of Hearts IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt