Anne verließ den Laden und trat wieder hinaus ins Sonnenlicht. Sie fühlte sich vor den Kopf geschlagen. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, dass sie ihr Geld erst wechseln musste. Ihr Vater hätte das sicher gewusst. Er bereiste ständig exotische Länder und brachte oft fremde Währungen nach Hause, die er in der obersten Schreibtischschublade achtlos zusammengewürfelt aufbewahrte. Sie hatte sich gelegentlich in sein Büro geschlichen, wenn er nicht zu Hause war und die Scheine und Münzen betrachtet und sich vorgestellt, mit ihm zu reisen und die weite Welt zu erkunden. Einmal, so hatte er ihr immer wieder versprochen, einmal werde ich Dich auf eine meiner Reisen mitnehmen, auf dass Du Land und Leute kennenlernst. Aber niemals war es dazu gekommen und sie hatte keine Erfahrung sammeln können. Jetzt fühlte sie sich allein und hilflos und als sie vor dem eindrucksvollen Gebäude der Zaubererbank angekommen war, befand sie sich den Tränen nahe. Dort sollte sie hineingehen? Gringotts war riesig und sie war dagegen winzig und klein.
Sie musste wohl eine ganze Weile so unschlüssig dagestanden und ehrfürchtig das silberne Eingangsportal angestarrt haben, denn plötzlich fragte eine wohlmeinende Stimme sie: „Kann ich Ihnen helfen?"
Anne erschrak und sah sich einem kleinen rundlichen Mann mit einem stattlichen grauen Schnurbart in einem dunkelvioletten samtenen Zaubererumhang gegenüber.
„Ich sehe Sie schon eine ganze Weile hier wie angewurzelt stehen und dachte, Sie benötigen vielleicht Hilfe? Haben Sie Ihre Eltern hier in der Nähe verloren?"
„Wie bitte? Nein, ich ... Verzeihung. Meine Eltern sind nicht hier."
„Ich verstehe. Und was hat Sie hierher verschlagen?"
„Ich ... ich ..." Anne war von ihm so überrascht worden, dass sie vergessen hatte, was sie eigentlich herführte. Dann erinnerte sie sich, griff in ihre Tasche und fand darin das Kuvert mit den Pfundnoten ihres Vaters. Sie zog es heraus und zeigte es dem freundlichen Zauberer.
„Wissen Sie, ob ich das hier umtauschen kann?"Der Mann warf einen Blick in den gut gefüllten Umschlag und pfiff überrascht durch die Zähne.
„Wenn Sie das alles umtauschen wollen, werden Sie einen Karren brauchen, um die Galleonen fortzuschaffen."
„Wie meinen Sie das?"
„Kindchen, Galleonen sind Goldmünzen, wissen Sie das nicht?"
„Nein, ich fürchte das wusste ich nicht."
„Und Sie sind wirklich allein hier?", fragte der Mann nun irgendwie besorgt.
„Ich fahre morgen weiter nach Hogwarts."Da hellte sich die Mine des Mannes auf und er strahlte sie fröhlich an. „Ach so!", rief er erleichtert. „Eine neue Schülerin! Da werden wir uns schon bald wiedersehen, denn ich unterrichte dort im Fach Zaubertränke. Slughorn mein Name, Horace Slughorn. Und ich rate Ihnen, lassen Sie sich von den Kobolden in Gringotts ja nicht übervorteilen! Soll ich Sie vielleicht hineinbegleiten?"
„Das würden Sie tun?"
„Aber mit Vergnügen!", rief er und schob sie die Stufen zum Eingang hinauf. Ihm waren weder die hohe Geldsumme noch das edle Wappen auf Annes Briefumschlag entgangen. In Kombination mit Annes vornehmem Erscheinungsbild und ihren wohlgeformten Manieren schloss er darauf, den Spross einer reichen, wenn nicht gar adligen Muggelfamilie vor sich zu haben. Einer derartigen Bekanntschaft war er keineswegs abgeneigt, denn gegen Verbindungen in Adelskreise war seiner Meinung nach ganz und gar nichts einzuwenden.Eine aufregende Stunde später kamen beide hochzufrieden aus der im Sonnenlicht glänzenden Eingangstür der Bank wieder heraus. Anne mit einem Beutel voller fremd aussehender Münzen namens Galleonen, Sickel und Knuts, die ihr nach Auskunft ihres künftigen Zaubertrankprofessors für sämtliche Einkäufe eines ganzen Schuljahres reichen dürften und dazu dem Schlüssel zu einem frisch eröffneten Verlies bei Gringotts, was wohl einem Sparkonto bei einer Muggelbank gleichkam und in dem nun der Rest des Geldes ihres Vaters in Gold und Silber aufbewahrt wurde. Und Horace Slughorn mit der befriedigenden Erkenntnis, in seiner Einschätzung richtig gelegen und soeben die Bekanntschaft einer jungen Lady erworben zu haben, deren Vater tatsächlich ein Graf war und einen Sitz im Oberhaus von Großbritannien innehatte.
DU LIEST GERADE
Anne Eastwood und die magische Welt (Hogwarts Fanfiction)
FanfictionSie wies auf die Tür, die nach draußen führte und sagte zu ihm: „Weißt du, das einzige, das schlimmer wäre, als da rauszugehen und zu sterben, ist zu Hause zu bleiben und nicht zu leben!" Hogwarts in den 1970ern: Anne wünscht sich nichts mehr, als n...