Früh am nächsten Morgen hatte Hector freien Zutritt zu Annes Zimmer.
Vorsichtig trat er ein und fand sie zu seinem größten Entsetzen am ganzen Körper zitternd und ans Bett festgebunden vor.Zornig öffnete er die Handfesseln und legte beruhigend ihre Hände in die seinen.
„Schschsch ...", flüsterte er. „Ich bin bei dir, Anne. Ich bin bei dir. Du musst das nicht alleine schaffen."
„Nein", flüsterte sie verängstigt. „Du kannst mir nicht helfen. Niemand kann das."
„Ich glaube du irrst dich", sagte er und klang zuversichtlicher, als er war.
Sie verzog schmerzhaft das Gesicht, als er ihre Arme bewegte und die geschundenen Handgelenke berührte.„Du hast Schmerzen", stellte er fest und sah, dass die Haut blutig aufgeschürft war.
„Ich besorg dir etwas dafür", sagte er, stand auf und steckte den Kopf aus der Tür.
„Erica", rief er eine junge Frau im grünen Umhang der Heiler zu sich.
„Hector! Was machen Sie in diesem Zimmer?", fragte sie verwundert und warf einen skeptischen Blick durch den Türspalt.
„Das ist schon in Ordnung", lächelte er sie an. Sie war erst seit wenigen Monaten in der Ausbildung zur Heilerin und eine ihrer ersten Aufgaben war es gewesen, täglich seine Verbände zu wechseln.
„Kann Miss Eastwood vielleicht ein wenig Wundsalbe bekommen?"
Sie sah ihn schüchtern und zögerlich an. Er hatte das Gefühl, dass es ihr widerstrebte, aber dann sagte sie: „Ich werde nachfragen."
„Danke."Fünf Minuten später klopfte es an der Tür und sie steckte den Kopf herein, trat jedoch nicht ein. Deshalb ging er zu ihr hinaus.
„Gibt es ein Problem?"
Sie hielt den Tiegel mit der Wundsalbe zwischen den Fingern und wendete ihn verlegen hin und her.
„Ich ...", stammelte sie und warf ängstliche Blicke zur Tür. „Also ... Meine Kollegin sagt, sie ist gefährlich..."
„Wer?"
„Die Patientin in diesem Zimmer!"
„Anne?!" Ungläubig starrte Hector sie an.
„Kennen Sie sie?", fragte Erica ihn.
„Ja, ich kenne sie. Und sie ist nicht ... gefährlich. Verletzt, ja. Aber nicht gefährlich."
„Aber sie hat sich selbst verflucht!"
Er stutzte. „Was? Ich dachte ..."
Die junge Heilerin sah ihn furchtsam an. „Es heißt, sie hat versucht sich umzubringen", sagte sie leise.
„Das ...", er schluckte schwer. „Das ist ... Das erklärt einiges!" Er warf einen Blick auf den Tiegel in ihren Händen. „Soll ich das übernehmen?"Sie schien hin- und hergerissen zu sein. Schließlich wollte sie aber auch nicht zu ängstlich erscheinen und öffnete zaghaft die Tür, um einzutreten.
Ihre Hände zitterten, als sie Annes Handgelenke versorgte. Die Patientin lag vollkommen still und ruhig in ihren Kissen, sie kam ihr tatsächlich nicht gefährlich vor. Aber ihre blauen Augen blickten sie so leer und traurig an, dass sie eine Gänsehaut bekam und froh war, als sie ihre Arbeit erledigt hatte. Das Mädchen war ihr unheimlich. Die Verletzungen stammten definitiv von einer längeren Fixierung, die ja auch ihren Grund gehabt haben musste.Trotzdem befiel sie so etwas wie Mitleid. Das Mädchen war vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als sie. Erica konnte sich nicht vorstellen, warum jemand in diesem zarten Alter nicht mehr weiterleben wollte. Es musste ihr wirklich schlecht gehen.
„Sagen Sie Bescheid, wenn Sie noch etwas brauchen, ja?", sagte sie leise zu Hector.
„Danke, Erica!"
Sie warf einen letzten Blick auf Anne und ging dann aufgewühlt hinaus.
Hector seufzte laut.„Warum hast du das getan, Anne?" Er blickte ihr forschend ins Gesicht, aber sie sah ihn nicht an und antwortete auch nicht.
„Warum wolltest du dein Leben beenden?"
Sie reagierte nicht. Er setzte sich auf den Stuhl, den er neben ihr Bett gestellt hatte und stützte sich leger mit den Ellbogen auf die Matratze.
„Ich habe viel Zeit, Anne", drohte er ihr scherzend. „Also, was ist geschehen, das dich denken lässt, es gäbe keinen Ausweg?"
Anne schwieg. Eine ganze Weile lang. Dann sagte sie. „Geh weg, Hector. Geh einfach."„Das kannst du getrost vergessen. Ich bleibe hier sitzen, bis ich weiß, warum du dein Talent vergeuden willst, obwohl die Welt dich dafür liebt!"
Sie sah ihn entgeistert an. Es war die erste echte Reaktion, seit er bei ihr war.
„Niemand sollte mich lieben. Du am allerwenigsten. Du solltest mich hassen, genau wie ich es tue!"
Entsetzt von dieser Aufforderung richtete er sich auf. „Bei Merlin, warum sollte ich dich hassen?"
„Weil alles meine Schuld ist."
„Was ist deine Schuld?"
Sie sah auf sein verletztes Bein. „Das. Lavinia. Eleanor. So viele andere ..."
„Wir wurden von Todessern angegriffen, nicht von dir!"
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Anne Eastwood und die magische Welt (Hogwarts Fanfiction)
FanficSie wies auf die Tür, die nach draußen führte und sagte zu ihm: „Weißt du, das einzige, das schlimmer wäre, als da rauszugehen und zu sterben, ist zu Hause zu bleiben und nicht zu leben!" Hogwarts in den 1970ern: Anne wünscht sich nichts mehr, als n...