Morro Bay III

41 | Krieg und Frieden

5 Jahre zuvor | Los Angeles

Lisa öffnete langsam ihre Augen. Der Ausblick auf die Decke verriet, dass sie nicht zu Hause war. Die Erinnerungen an die aktuellsten Geschehnisse ließen nicht lange auf sich warten. Sie war im Krankenhaus. Es war der nächste Morgen nach ihrem Eingriff. Ihr Herz fing augenblicklich an, gewaltsam gegen ihre Brust zu schlagen. Sie brauchte dringend ihr Telefon. Sie musste auf der Stelle mit Silas sprechen. Hektisch hob sie ihren Oberkörper und schaute sich im Raum um. Ein weiteres Patientenbett stand rechts von ihrem, auf dem ihre Eltern eng aneinander geschmiegt schliefen. Sie trugen ihre Kleidung vom Vortag. Im Besuchersessel an der gegenüberliegenden Wand schlief Miles.

Lisa überlegte, was mit ihrer Schultasche passiert war, kam aber zu keinem Ergebnis. Sie beschloss aufzustehen, um im Kleiderschrank nachzugucken. In ihrem Unterleib zwickte es, als sie sich vorsichtig vom Bett erhob. Doch die Schmerzen ließen sich aushalten. Auf ihren Zehenspitzen schlich sie zum Kleiderschrank. Zu ihrer Enttäuschung war dort nichts zu finden. Sie sah sich nochmal im Zimmer um und stellte fest, dass Miles sein Telefon auf dem Esstisch abgelegt hatte. Vorsichtig machte sie den Schrank wieder zu und eilte zum Tisch. Miles' Telefon war gesperrt. Praktischerweise funktionierte seine Gesichtserkennung auch im schlafenden Zustand und ermöglichte Lisa den Zugriff. Mit zittrigen Fingern suchte sie Silas' Kontakt. Gleichzeitig schlich sie sich aus dem Zimmer. Dass sie nur einen Patientenkittel und Einwegunterwäsche trug, war ihr vollkommen egal. Hektisch suchte sie nach einer ruhigen Ecke, um sich zu verstecken.

„Was wird denn das?", ertönte eine vertraute Stimme plötzlich von hinten. Lisa erschreckte sich und drehte sich um ihre eigene Achse: „Tante Sam."

„Versuchst du Silas anzurufen?"

Lisa antwortete nicht.

„Er war gestern hier", erklärte Samantha. „Alle wissen über euch Bescheid, Lizzy."

Sie wurde schlagartig blass.

„Ich bringe dich zurück ins Bett."

„Wo ist er?", wollte Lisa wissen. „Warum ist er nicht hier geblieben?"

„Deine Mom hat darauf bestanden, dass er verschwindet."

In Lisas Augen sammelten sich Tränen.

„Komm her", sagte Samantha und zog Lisa in ihre Arme. Das Mädchen tat ihr einfach nur leid. Über das Ausmaß des ganzen Ärgers und seiner Konsequenzen war sie sich mit Sicherheit noch garnicht richtig im Klaren.

„Ich liebe ihn, Tante Sam", wimmerte Lisa. „Ich möchte ihn nicht verlieren."

Samantha strich ihr liebevoll durch ihr zerzaustes Haar. Sie wollte Lisa trösten, doch sie fand nicht die passenden Worte.

Auf einmal stürmte Miles aus dem Patientenzimmer.

„Lizzy!", rief er den beiden Frauen entgegen. „Hast du mein Telefon geklaut?!"

Bevor sie reagieren konnte, riss er das Gerät aus Lisas Hand. „Was hast du dir dabei gedacht, hm?!"

Sie löste sich aus Samanthas Umarmung und schaute ihren Bruder an: „Wie hat Silas erfahren, dass ich im Krankenhaus bin?"

„Ich habe es ihm erzählt."

„Das hätte er nicht tun sollen. Warum hast du ihn nicht aufgehalten?"

„Lizzy. Die Lage war ernst. Er tat das einzig Richtige und hat sich seiner Verantwortung gestellt."

„Bitte, Miles. Ich muss mit ihm reden."

Samantha beobachtete, wie ihr Bruder mit seinem Gewissen kämpfte. Schließlich gab er Lisa sein Telefon zurück. Blitzartig nahm sie es entgegen und wählte Silas' Nummer.