16 | Flucht

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Gegenwart | Morro Bay

Das Uber kam vor dem Strandhaus zum Stillstand. Die Tür öffnete sich. Lisa griff ihre große Schultertasche und verließ das Fahrzeug. Sie ließ den Moment kurz auf sich wirken und starrte auf das Haus. Es sah immer noch so aus, wie sie es in Erinnerung hatte. Es war eine verschwommene Erinnerung, die nur noch aus Fragmenten bestand. Sie war ein Kind gewesen, als sie das letzte Mal hier war.

Langsam näherte sie sich der Haustür. In ihrer Hand hielt sie den Schlüssel. Sie führte ihn ins Schloss und machte auf. Ein vertrauter Duft von Holz und Salz stieg in ihre Nase und hinterließ ein wohliges Gefühl.

Lisa war müde. Während der vierstündigen Fahrt wurde sie mehrfach von ihren Emotionen übermannt. Sie hatte geweint, bis keine Tränen mehr übrig waren.

Es war ein Verzweiflungsakt nach Morro Bay zu fahren. Nachdem Silas ihr offenbart hatte, dass es für sie beide keine Zukunft gäbe und Phin im nächsten Atemzug ihre Beziehung beendete, brach ihre Welt zusammen. Ein tiefes Bedürfnis nach Abstand von ihrem ganzen Leben übernahm plötzlich Oberhand und ließ ihre Gedanken nicht mehr in Ruhe. Sie sah keinen anderen Ausweg das quälende Gefühl loszuwerden. Also beschloss sie zu verschwinden.

Lisa öffnete die Terrassentür und ließ den wunderschönen Ausblick auf das offenen Meer kurz auf sich wirken. Gleichzeitig musste sie daran denken, als ihre Mom ihr erzählte, wie sie ihren Dad in Morro Bay kennen gelernt hatte. Ihre Mutter liebte diesen Ort. Sie sagte, er gäbe ihr Frieden. Lisa hoffte in diesem verschlafenem Fischerdorf den gleichen Frieden zu finden.

Auch die Einrichtung des Hauses hatte sich seit ihrer Kindheit nicht verändert. Es fühlte sich für Lisa wie eine Zeitreise an. Ihr schossen weitere Erinnerungsbruchstücke in den Kopf. Es waren schöne Erinnerungen aus einer unbeschwerten Kindheit. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie sie mit ihrem Bruder eimerweise Sand im Wohnzimmer auskippte, um eine Burg zu bauen. Sie musste lachen, als sie sich an das schockierte Gesicht ihrer Mom erinnerte, die ihre Kinder unbeaufsichtigt gelassen hatte, um das Mittagessen zu kochen. Ihr Dad kam gleichzeitig die Treppen herunter und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Ich hab dir gesagt, sie würden schimpfen", erklang Miles' Stimme in ihren Gedanken. „Nie hörst du auf mich, Lizzy ..."

Auf einmal wurde Lisa wieder melancholisch. Sie machte schon immer Ärger und zog andere mit rein. Nichts hatte sich seit ihrer Kindheit geändert.

Erschöpft ließ sie sich schließlich auf das Sofa fallen. Ihre Entscheidungen und Handlungen hatten sie an ihr Limit gebracht. Sie hatte keine Kraft mehr übrig. Kaum hatten sich ihre Muskeln ein wenig entspannt, legte sich ein Schleier über ihre Sinne. Wenige Sekunden später driftete sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.


5 Jahre zuvor | Los Angeles

Jax war bei Ryan zu Besuch. Sie saßen schweigend auf dem Sofa und guckten sich ein Basketball-Spiel an.

„Wie läuft es so?", ergriff Jax irgendwann das Wort.

„Was meinst du?"

„Na, mit Jess."

„Das haben wir doch schon vor paar Tagen durchgekaut, schon vergessen? Sie hat einen Makler engagiert. Sobald sie ein Haus gefunden hat, wird sie ausziehen."

„Habt ihr schon mit den Jungs geredet?"

„Noch nicht."

„Worauf wartet ihr?"

Ryan schnaufte: „Es bricht uns das Herz, dass wir ihnen das schon wieder antun werden. Wir haben noch nicht den richtigen Moment gefunden."

„Sie sind mittlerweile erwachsen, T. Sie werden es verstehen."

Morro Bay IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt