Kapitel 7

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Schon aus der Ferne sehe ich das trostlose, gefängnisartige Kasernengelände. Graue Betonklötze, ein hoher Zaun, Wachen am Eingang, die uns aber keine Beachtung schenken, als wir vom Wagen springen und auf den Innenhof strömen. Hier sind noch mehr Jungs in unserem Alter, insgesamt schätze ich einige Hundert. In vielen Gesichtern steht die gleiche angespannte Erwartung, die ich fühle, in anderen Ratlosigkeit gemischt mit einem Hauch von Unsicherheit.

„In Fünferreihen angetreten", ruft eine volle Stimme mit starkem schlesischen Akzent, während sich noch die letzten durch das Tor schieben.

Es herrscht kurze Verwirrung. Wir haben das Aufmarschieren zwar schon Tausendmal geübt, aber nicht in einer so zusammengewürfelten Truppe. Ich reihe mich mit Gerhard in der dritten Reihe ein und spähe zwischen den Köpfen der vor mir Stehenden hindurch, um einen Blick auf den Mann zu erhaschen, der den Befehl gegeben hat.

Ein wenig erinnert er mich an meinen Meister, groß und kräftig wie ein Bär, mit einem runden Kopf und einem ebenso runden Bauch, über den sich die Uniformjacke spannt. Eigentlich wirkt er eher wie ein Mann, den ich mir in einem Biergarten bei Kartoffelklößen und Grützwurst vorstelle, als in Wehrmachtsuniform. Seine Augen blitzen uns gutmütig an.

„Alles klar, Jungens?" Seine tiefe Stimme trägt klar und deutlich über den ganzen Hof.

„Jawoll, Herr Unteroffizier!", schallt es trotz der ungewöhnlichen Anrede wie aus einem Munde zurück.

„Na scheen. Wie ich sehe, hat man euch die Manieren schon beigebracht. Da muss ich mich ni' mehr so sehr anstrengen, was?"

Er lacht aus vollem Hals, was seinen Bauch ein wenig erzittern lässt. Dann wird er schlagartig wieder ernst.

„Also, Jungens. Ich bin Unteroffizier Swarowski. Ihr wisst ja, warum ihr hier seid. Die Sowjets treten uns ein paar Kilometer von hier schon fast auf die Stiefelspitze. Aber unsere scheene Stadt Breslau soll ihnen ni' auch noch in die Hände fallen, was? Wir werden die Oder zur Festung ausbauen, die kein Russki und kein Panzer ni' überschreiten kann. Ihr werdet Panzergräben ausheben, Stacheldraht ziehen und Granaten für die Artillerie und Flak stapeln, damit denen ni' die Munition ausgeht, wenn es heiß auf heiß kommt. Aber keine Sorge, hier bei uns wird ni' scharf geschossen. Höchstens mit Pralinen."

Er lacht wieder dieses volltönende Lachen. Wir bleiben still, aber das stört ihn nicht.

„Ich will euch nichts vormachen", fährt er wieder ernst fort. „Die Arbeit wird kein Zuckerschlecken. Ihr kennt euch schon mal auf schmerzende Knochen und reißende Muskeln einstellen. Aber ihr seid ja noch jung! Und nach getaner Arbeit weeß ma' wenigstens, was man gemacht hat, was?"

Er erklärt uns noch den restlichen Tagesablauf und fragt dann auf seine joviale Art: „Alles klar soweit?"

„Jawoll, Herr Unteroffizier!"

„Na prima. Nu' werden eure Namen verlesen und ihr werdet auf die Baracken aufgeteilt. Jede Stube wählt einen Stubenältesten — der hat das Kommando und die Verantwortung gegenüber dem diensthabenden Unteroffizier. Danach meldet ihr euch als Erstes in der Ausrüstungskammer, da geben sie euch Kadettenuniformen. Ich hoffe, ihr Hänflinge fallt ni' da durch." Er lacht kurz auf. „Noch Fragen?"

„Ja, Herr Unteroffizier." Einer aus der vorderen Reihe hat den Mut, seine Hand zu heben. „Dürfen die Jungen, die sich schon von der HJ kennen, auf eine Stube?"

Swarowski nickt freundlich. „Freilich. Dagegen ist nichts einzuwenden, mein Jung'. Das fördert den Zusammenhalt."

Na großartig! Ich wechsle einen Blick mit Gerhard. Das bedeutet, wir kommen mit Wilhelm Braun auf einer Stube!

Am Ende dieses JahresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt