Kapitel 28

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Den Rest des Tages lässt Müller mich erstaunlicherweise in Ruhe. Ich weiß nicht, ob er gehört hat, dass ich beim Major war, aber es ist mir auch egal, solange ich nicht wieder den Boden unserer Stube mit der Zahnbürste schrubben muss. Den Abend bekommen wir frei, weil morgen Sonntag ist.

Als ich nach dem Putzdienst in der Latrine zurück in unsere Stube komme, trifft mich beinahe der Schlag. Neunzehn Jungs brüllen mir entgegen „Herzlichen Glückwunsch!" Gerhard kommt auf mich zu. „Alles Gute zum Sechzehnten, alter Junge!" Er klopft mir auf den Rücken. „Mensch, jetzt biste auch endlich so alt wie ich." Ich schnaube verächtlich, grinse aber.

Die anderen Jungs winken mich zu sich. Sie sitzen auf dem gefegten Dielenboden im Kreis oder hocken auf den unteren Betten. Gerhard zieht eine braune Papiertüte unter seinem Kopfkissen hervor und überreicht sie mir. „Für dich."

Die Tüte ist schwer und meine Vermutung bestätigt sich, als ich eine Flasche Schnaps herausziehe. Überwältigt starre ich Gerhard an. „Wo hast du die denn her?"

„Hab ich für dich organisiert. Beziehungsweise für uns alle, damit wir auf dich anstoßen können." Er zwinkert mir zu. „So ein Geburtstag muss doch ordentlich gefeiert werden."

„Ich hab Würfel dabei", sagt Siggi.

Ich lasse mich zwischen meinen Kameraden nieder.

„Du machst den Anfang", fordert mich Gerhard auf und deutet auf die Flasche.

„Auf uns", sage ich und setze die Flasche an die Lippen. Ich nehme einen kleinen Schluck zum Testen. Der Schnaps brennt mir auf den Lippen und läuft wie ein brennender Bach meine Kehle hinunter. Mir tränen die Augen, aber ich unterdrücke den Hustenreiz und reiche die Flasche weiter.

„Von wegen — auf dich", meint Gerhard und nimmt einen ordentlichen Schluck.

„Auf den bevorstehenden Einsatz", prostet Fred uns zu. Es geht der Reihe um, bis sie schließlich wieder zurück zu mir wandert. Der zweite Schluck ist schon leichter, weil ich auf die brennende Schärfe vorbereitet bin. Eine recht angenehme Wärme breitet sich von meinem Bauch in meinem ganzen Körper aus, während die Flasche ihre zweite Runde dreht. Die Jungs lachen und schwatzen, wir spielen Karten- und Würfelspiele und leeren die Schnapsflasche in Nullkommanichts.

„Haste du dir was gewünscht?", fragt mich Gerhard leise, als gerade keiner der anderen auf uns achtet.

Ich zucke die Achseln.

„Komm schon. Wenn du jeden Wunsch frei hättest?"

Wenn ich einen einzigen Wunsch frei hätte? Als Erstes kommt mir Luise in den Sinn. Sie wiederzusehen. Aber dazu muss ich erst einmal heil wieder nach Hause kommen. Heute in der Runde der Jungs kann ich beinahe vergessen, dass wir hier nicht in einem Ferienlager sind, sondern in einer Woche als Soldaten in den Kampf geschickt werden. In meinem Magen gurgelt der Schnaps.

„Also?", fordert Gerhard mich wieder auf.

„Dass der Krieg bald vorbei ist?", sage ich leise.

Gerhard rasselt mit dem Würfelbecher und setzt ihn mit einem Knall auf den Boden. „Ha! Sechser-Pasch." Er sammelt die Zigaretten ein, die als Einsatz zwischen uns in der Runde liegen. Als er die Schachteln neben sich aufschichtet, beugt er sich wieder zu mir herüber. „Langweilig. Ich dachte, du wünschst dir was anderes ..."

„Was soll ich mir denn deiner Meinung nach wünschen?" Er drückt mir den Würfelbecher in die Hand und ich schüttele ihn geistesabwesend.

„Och, ich dachte da an so ein Geschöpf mit großen blauen Augen, blonden Haaren und rotem Mund", Gerhard klimpert übertrieben mit den Augen und spitzt die Lippen.

Am Ende dieses JahresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt