Kapitel 9

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Swarowski begrüßt uns mit einem „Heil Hitler". Bei ihm klingt das immer irgendwie achtlos dahingesagt, was ihn mir noch sympathischer macht. Während er die Reihen der Jungs, die zum Morgenappell angetreten sind, abschreitet, zwinkert er dem ein oder anderen aufmunternd zu, verteilt sogar hier und da einen Klaps auf die Schulter.

„Gut gearbeitet habt ihr in den letzten zehn Tagen."

Zehn Tage sind wir schon hier? Bei der eintönigen Arbeit geht einer in den anderen über, ohne dass ich es merke. Mittlerweile würde ich mich sogar darüber freuen, meine Lehre bei Meister Pollack wieder aufnehmen zu können. Aber wer weiß, ob ich dazu noch mal die Gelegenheit bekommen werde ...

„Wenn ihr so weitermacht, kriegt ihr am Sonntag einen freien Abend, na wie wär das?" Er bleibt genau vor mir stehen und grinst mich breit an. Ich lächle zurück. Swarowski ist wirklich in Ordnung.

Nachdem wir in den letzten Tagen Granaten gestapelt haben, werden wir heute für die Schanzstellungen eingeteilt. Ich steige hinter Gerhard auf den LKW und stelle mich auf einen harten Arbeitstag ein. Über Nacht hat es wieder geschneit, aber an diesem Morgen scheint die Sonne, sodass die ganze Landschaft unter einer blendenden, unberührten Decke verschwindet, die alle Geräusche verschluckt. Hier und da streckt eine Erle oder Birke ihre nackten Äste aus dem Meer aus Weiß und dort, wo bereits Autos über die Landstraße gefahren sind, ist der Schnee zu einer harten, grauen Decke zusammengestaucht, die sich wie ein schmutziges Band durch die Landschaft windet. Jeder Atemzug beißt meine Nase, denn der Tag ist klar und der Himmel kristallblau.

Der LKW hält und wir springen ab, unsere Spaten bereits zur Hand. Vier bis fünf Meter tief soll der Graben werden und fast ebenso breit, damit kein Panzer ihn überwinden kann. Zusammen mit der zugefrorenen Oder soll er die letzte Verteidigungslinie um Breslau bilden. Ob es reicht?

Trotz der Kälte wird mir bald warm unter meiner Uniform und Gerhard neben mir stehen sogar Schweißperlen auf der Stirn. Ich schiebe eine Fuhre Schnee nach der anderen, vermischt mit dunkler Erde, auf mein Schaufelblatt und werfe alles über den Grabenrand, wo sich ein hoher Wall gebildet hat, über den ich bereits jetzt im Stehen kaum noch schauen kann. Meine Muskeln ermüden.

August auf meiner anderen Seite kann seine Arme schon kaum mehr weit genug anheben, um seine Spatenladung nach draußen zu befördern. Sein Gesicht unter der Mütze sieht trotz der Anstrengung blass aus. Er hüstelt immer wieder vor sich hin, aber als ich innehalte und ihn stirnrunzelnd anschaue, winkt er ab.

„Geht schon, Anton."

Das Mittagessen wird uns von Clothilde angeliefert. Sie ist eine drahtige Frau um die fünfzig mit grauen Haaren, aber ihr Gesicht verrät, dass sie einmal hübsch gewesen sein muss. Wir nennen sie alle nur Schlothilde, weil sie eine nach der anderen qualmt. Man sieht sie nie ohne eine Kippe zwischen den gelblichen Fingern und sie kann ausgezeichnet auch mit der Fluppe zwischen den Lippen reden.

Da sie eine der wenigen Frauen in der Kaserne ist, wird sie von den Soldaten mit Respekt behandelt. Schlothilde weiß genau, wie sie genannt wird, aber sie nimmt es uns nicht übel. Sie ist die Helferin des Kantinenchefs und teilt jetzt dick belegte Leberwurst- und Käsebrote unter uns aus, die wir wie junge Wölfe in uns hineinschlingen. Zwischen den Zügen zeigt sich ein dünnes Lächeln auf ihren Lippen.

„Darf ich auch mal ziehen?", fragt einer der Jungs scherzhaft im Vorbeigehen. Schlothilde hält ihm wortlos die Zigarette vor die Nase und Heinz tut einen kräftigen Zug, versucht das Husten zu unterdrücken und verschluckt sich dabei. Nun muss er das Lachen der anderen ertragen.

Ich ergattere für mich und Gerhard einen der begehrten Sitzplätze auf der Ladefläche des LKWs. Wir lassen unsere Beine baumeln, trinken den lauwarmen Körnerkaffee und genießen die Pause. Ich schaue über die Schneise im Schnee, die wir und andere Gruppen in den letzten Tagen gegraben haben. Von hier aus wirkt sie weder breit noch tief genug, um gegen die Panzer der Russen irgendeine Barriere zu bilden.

Am Ende dieses JahresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt