Kapitel 37

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„Überlegt es euch jetzt", wiederholt der Obergefreite und wechselt einen Blick mit seinen Männern, die ihre Gewehre gezückt haben.

„Ja", sage ich auf einmal. Aller Augen richten sich auf mich. Bisher habe ich keinen Ton von mir gegeben. Sogar Wilhelm hält inne in seinem hysterischen Schluchzen.

„Na dann flott", knurrt der Obergefreite, steckt die Daumen in das Koppel und schaut sich ungeduldig um, als könnte im letzten Moment noch etwas geschehen, das ihn von seinem Vorhaben abhält.

Mein Kopf ist leer — ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht einmal, warum ich überhaupt etwas gesagt habe. Vielleicht ein uralter Überlebenstrieb. Zeit schinden ... aber wofür? Um alles nur noch mehr in die Länge zu ziehen?

Zögernd beginne ich, und meine Zunge fühlt sich an wie ein Fremdkörper in meinem Mund: „Ich wollte nur sagen, dass ... er hat recht ... Wilhelm hat recht. Es war alles meine Idee. Ich habe ihm die Waffen weggenommen, um sie abzufeuern. Und er hat wirklich einen Vater bei der SS, Hauptsturmführer Braun. Ihr solltet ihn besser laufen lassen, wenn ihr ..."

„Schluss jetzt", fährt der Obergefreite dazwischen, aber er runzelt die Stirn. Vielleicht habe ich ihn ein wenig verwirrt. Mehr kann ich nicht hoffen.

„Ich habe ihn angestiftet. Wilhelm war immer ein treuer Vaterlandskämpfer, der treueste ...", ein Handzeichen des Obergefreiten schneidet mir das Wort ab. In der Dämmerung zwischen den Bäumen ist sein Gesichtsausdruck kaum noch zu erkennen, aber die beiden anderen scheinen seinen Wink deuten zu können und zielen wieder mit ihren Karabinern auf uns, die sie während meiner Worte haben sinken lassen.

Ich schlucke. Wilhelm neben mir ist ganz still geworden. Also gehen wir gemeinsam in den Tod. Das hätte ich nie gedacht. Dass ich meine letzten Minuten ausgerechnet mit Wilhelm Braun verbringen würde ...

„Achtung!", ruft der Obergefreite. Ich zwicke die Augen fest zusammen und stelle mir Gerhard vor ... und Luises Lächeln ... Mutters traurige Augen ...

„Halt!", ruft eine volltönende Stimme zu unserer Linken, die im Wald noch weiter entfernt scheint, aber leicht bis zu uns trägt. „Nicht schießen. Wer schießt, wird von mir gleich mit erschossen."

Ich reiße die Augen wieder auf. Die Stimme kommt mir bekannt vor. Wilhelm und ich wechseln einen Blick voll Verwirrung und unterdrückter Hoffnung.

„Herr Major?" Der Obergefreite klingt mindestens ebenso überrascht und deutet mit einem Handzeichen seinen Männern an, dass sie ihre Waffen sinken lassen sollen. Sie tun es nur widerwillig und mit einem bedauernden Blick auf uns.

Ein Mann tritt zwischen den Baumstämmen auf die kleine Lichtung, auf der wir uns befinden. Es ist zwar fast dunkel, aber selbst in diesem Dämmerlicht kann ich erkennen, dass sein Haar schlohweiß ist.

„Hauptmann Segeler hat mir das Protokoll vorgelegt. Dazu habe ich noch einige Fragen, die nicht geklärt wurden. Die beiden sollen mitkommen."

„Aber Herr Major..."

„Sofort." Er sagt es ruhig und leise, aber mit einer Bestimmtheit, die jeden Widerspruch im Keim erstickt.

Einen Moment zögert der Obergefreite. Er hat eigentlich in solchen Dingen die Gewalt, zu entscheiden, aber er hätte es gleich im Feld tun müssen, anstatt uns erst hierherzuführen — dann hätte ihm keiner etwas anhaben können. Hier ist auch er den Befehlen des Kommandanten unterstellt.

Er deutet mit einem Kopfwink an, dass seine zwei Gehilfen uns wieder in Gewahrsam nehmen sollen. Aber der Major winkt ab. „Ich übernehme das von hier." Er schaut die Feldgendarme durchdringend an. „Danke", fügt er endgültig hinzu.

Am Ende dieses JahresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt