Kapitel 26

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Im hinteren Teil des Kasernengeländes befindet sich der Truppenübungsplatz — eine große, freie Fläche aus zertretenem Rasen und matschiger Erde, auf der die verschiedensten Hindernisse aufgebaut sind: Bretterwände, Türme aus Balken, Seile und Stacheldraht ... Daneben liegen sich die Schießstände, vor denen wir zum Nachmittags-Unterricht angetreten sind.

Ich wiege meinen Karabiner in der Hand. Am Vormittag haben wir gelernt, wie man die Waffe auseinandernimmt und wieder zusammensetzt und das durften wir Dutzende Mal wiederholen. Jetzt sollen wir damit schießen. Ich rufe mir ins Gedächtnis, wie der Ladestreifen einzulegen ist und der Abzugshahn eingestellt wird, während ich mich auf den Hügelkamm lege, der uns als Schießwall dient. Ich stütze meine Ellbogen auf die weiche Erde und kneife die Augen zusammen, während ich die Zielscheibe in zwanzig Metern Entfernung fixiere. Es ist ähnlich wie bei den Luftgewehren, mit denen wir schon in der Hitlerjugend geübt haben.

Neben mir krachen die ersten Schüsse. Feldwebel Müller hat bei jedem etwas auszusetzen. „Jemand, der so so schießt wie Sie ist eine Gefahr für seine Mitsoldaten. Sie Pfeife!", brüllt er Gerhard an. Es fällt mir schwer, mich davon nicht ablenken zu lassen.

„Meine blinde Oma trifft besser als Sie", schreit er jemand anderen an. „Das wäre eine Fahrkarte nach Hause, wenn wir nicht jeden Soldaten bräuchten."

Ich konzentriere mich auf das Zentrum der Zielscheibe, diesen kleinen schwarzen Kreis. Alles andere scheint in den Hintergrund zu treten, als ich den Hahn langsam und kontrolliert durchdrücke. Der Knall dröhnt mir in den Ohren, und beim Rückstoß schlägt mir der Gewehrkolben unsanft gegen die Schulter. Aber ich glaube, ich habe getroffen. Ich schätze, ich hatte schon immer eine ruhige Hand; das hat mir Vater vererbt. Ich lade nach und feuere auch noch die weiteren Schüsse ab. Überraschenderweise lässt Müller mich in Ruhe. Erst am Ende inspiziert er die Einschussstellen und ruft die Zahl der getroffenen Ringe aus.

„Köhler", ich zucke zusammen, als ich meinen Namen höre, „Neubauer, Böhm. Sie drei melden sich morgen zur Scharfschützen-Spezialausbildung bei Oberfähnrich Konradi. Alle anderen nehme ich mir weiter vor, so lange bis Sie das verdammte Gewehr im Schlaf laden und feuern können."

Gerhard klopft mir anerkennend auf die Schulter. „Scharfschütze", flüstert er, während wir zur nächsten Station traben. Ich bin mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist, also schweige ich. Wir bleiben vor einem langen Hindernisparcours stehen. Schon wenn ich mir die Strecke ansehe, kommen mir dunkle Vorahnungen, und sie werden noch verstärkt, als ich das Glitzern in Müllers Augen sehe.

Er klatscht in die Hände. „Jetzt geht's ans Eingemachte. Kein gemütlicher Waldspaziergang wie heute Morgen. Jetzt kann sich keiner mehr verstecken. Ich werde jede Schwäche bei Ihnen erkennen und sie ausmerzen. Schwäche ist gleich Tod, schreiben Sie sich das hinter die Ohren. In Zweierreihen antreten."

Leider geraten Gerhard und ich an den Anfang der Schlange. „Sie sehen, was zu tun ist — den Kletterturm rauf, an den Seilen herunterrutschen, unter dem Stacheldraht hindurchrobben, über die Grenadierwand springen. Alles in unter einer Minute, wenn ich bitten darf. Und dass Sie ja Ihre Gewehre nicht verlieren. Die sind ab jetzt Ihr wichtigster Besitz — die retten Ihnen den Arsch. Verstanden? Ab marsch. Los, los!", schreit der Feldwebel und drückt auf seine Stoppuhr.

Ich sause los, mit vollem Sturmgepäck auf dem Rücken, den Karabiner über der Schulter. Gerhard läuft dicht neben mir. Mit seinen langen Beinen erreicht er als Erster den etwa zehn Meter hohen Turm aus Holzbalken. Trotz der weiten Abstände zwischen den Balken, kommen wir beide rasch oben an. Schließlich haben wir das Klettern auf Bäume oft genug geübt.

Gleichzeitig mit Gerhard ergreife ich eines der Seile, das von der Plattform hängt, und lasse mich daran herabgleiten. Um Zeit zu sparen und die Reibungshitze an meinen Handflächen zu verringern, springe ich zwei Meter über dem Boden ab und sprinte weiter zu dem langen Stacheldrahttunnel, unter dem wir hindurchkriechen sollen. Ich schmeiße mich ohne nachzudenken auf den aufgeweichten, schlammigen Boden und schiebe mich auf Ellbogen und Knien vorwärts, das Gewehr immer in den Händen vor mir her. Gerhard ist mir knapp auf den Fersen.

Am Ende dieses JahresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt