Kapitel 27

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Fast eine Woche sind wir bereits in der Kaserne. Jeden Tag muss ich aufs Neue die Spielchen von Feldwebel Müller mitmachen. Die Zurechtweisung durch den Major scheint ihn nur noch mehr gegen mich aufgebracht zu haben. Vielleicht hat er mich vorher nur zufällig auf dem Kieker gehabt, aber jetzt hat er es garantiert auf mich abgesehen. Ihm fallen immer wieder neue, kreative Schikanen ein.

Es fängt schon am frühen Morgen an. Er holt mich aus dem Waschraum, bevor ich mich überhaupt richtig waschen konnte, und schickt mich auf den Hof, um ein paar Runden zu rennen, weil mein Bett nicht richtig gebaut war. Und am Nachmittag bei den Körperübungen darf ich garantiert öfter als alle anderen an den Seilen hochklettern oder Kniebeuge machen, weil ich mich nicht schnell genug umgedreht habe oder so.

Die Zeit, die Fred, Harald und ich bei der Scharfschützenausbildung und damit nicht bei Müller verbringen, wird zum Lichtblick meines Tages.

Heute lässt er mich, weil ich angeblich beim Stubendienst getrödelt habe, zur Strafe den ganzen Hof durchfegen, während die anderen beim Frühstück sitzen. „Damit Sie mal lernen, was es heißt, ordentlich zu putzen."

Meine Kameraden werfen mir zwar zum Teil mitleidige Blicke zu, aber ich weiß genau, dass sie insgeheim erleichtert sind, nicht selbst auf Müllers Liste zu stehen. Ich hoffe, dass Gerhard daran denkt, mir einen Happen Frühstück zu organisieren. Wenn nicht der nagende Hunger wäre, würde mir die Aufgabe heute nicht so viel ausmachen. Es ist ein sonniger Tag, die Luft ist mild und riecht bereits nach Frühling. Und — heute ist mein Geburtstag. Ob meine Familie jetzt an mich denkt? Und Luise ...?

Ich überblicke die gesamte Fläche des Exerzierhofes. Wie soll ich es schaffen, das in einer Stunde alles zu kehren? Ob Müller mich auch den Vormittagsunterricht verpassen lassen wird, wenn ich nicht rechtzeitig fertigwerde? Der Besen schabt über den Asphalt und kleine Steinchen springen vor den Borsten weg. Herbeigewehte Pflanzenstücke und getrocknete Schlammreste, den ganzen Schmutz eines langen Winters schiebe ich vor meinem Besen her und forme einen immer größer werdenden Haufen. Plötzlich fährt eine Windbö auf und verteilt den zusammengefegten Unrat freizügig über den Hof. Ich seufze und stütze mich auf meinen Besenstiel. Das war's dann wohl mit dem Frühstück ...

Da bemerke ich, wie im zweiten Stock des Hauptgebäudes, an der Längsseite des Hofes gegenüber von mir, ein Fenster geöffnet wird. Major Schirmer schaut hinaus, erst in den Himmel — vielleicht um das Wetter zu überprüfen, oder nach feindlichen Flugzeugen Ausschau zu halten —, dann auf den Hof herunter. Sein weißes Haar glitzert im Sonnenlicht. Ich beeile mich, weiterzumachen.

Nach einigen Minuten, in denen ich mich nicht traue, noch einen Blick zum Fenster zu werfen, ruft auf einmal seine volle Stimme nach unten. „Hallo! Köhler! Das war doch Ihr Name?"

Ich stehe stramm und salutiere zum Fenster hinauf. „Jawohl, Herr Major. Anton Köhler, melde mich zum Dienst."

„Und was ist Ihr Dienst?"

„Ich führe die Aufgabe von Feldwebel Müller aus, den Hof zu kehren, Herr Major."

„Achso." Er schweigt eine Weile und ich bin mir nicht sicher, ob ich einfach weitermachen soll. Aber er muss mich erst einmal wegtreten lassen, oder?

„Kommen Sie mal in mein Büro herauf, Köhler!"

Ich bin baff. „Aber ..."

„Ich werde Feldwebel Müller Bescheid geben lassen, dass ich seinen Rekruten für einige Zeit entführt habe." Er zieht sich zurück und schließt das Fenster.

Ich stehe kurz unsicher da, dann lehne ich den Besen an die Hauswand und trabe ins Hauptgebäude. Im Erdgeschoss zieht mir der verlockende Duft nach frischen Brötchen und Eiern mit Speck aus der Kantine in die Nase. Mein Magen knurrt. Ich nehme die Stufen zum zweiten Stock in wenigen Sätzen und klopfe am Vorzimmer des Büros von Major Schirmer. Der Adjutant öffnet und weist mich an, direkt zum Major durchzugehen.

Am Ende dieses JahresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt