Kapitel 36

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„Aufhören und Hände hoch!", schreit der Feldgendarm, der die Schüsse in die Luft abgegeben hat, und senkt seine Waffe, um sie auf uns zu richten.

Ich staune nur darüber, wie wenig es mich kümmert, dass man uns ertappt hat. Es ist mir vollkommen egal. Sollen sie uns doch schnappen ... uns als Fahnenflüchtige und Deserteure im Standgericht erschießen. Was hat das jetzt schon noch für eine Bedeutung ...

Die drei kommen zu uns herüber. Wir rühren uns nicht von der Stelle, bis sie vor uns stehen. Grimmige, arrogante Gesichter unter schweren Helmen.

Der mittlere, wahrscheinlich der Führer der Gruppe mit den Rangabzeichen eines Obergefreiten, mustert uns mit zusammengekniffenen Augen. „Was habt ihr Bengel da gemacht?"

Ich schweige, weil ich kein Interesse an einer Auseinandersetzung. Wilhelm sagt ebenfalls nichts, aber ich habe das Gefühl, dass er eher vor Schreck erstarrt ist.

„Ich verlange eine Antwort, Soldaten", brüllt der Obergefreite uns an. Ich habe langsam genug von all diesem Gebrüll.

„Wir haben unsere Munition entsorgt", sage ich gleichgültig. Was soll's, kann ich ihnen auch gleich die Wahrheit sagen, jetzt ist es eh zu spät.

„Das sehe ich. Und warum, wenn ich bitten darf?"

Darauf schweige ich wieder, was den Obergefreiten nicht gerade gefälliger stimmt. Sein Gesicht läuft rot an. „Wisst ihr nicht, was darauf steht?", brüllt er. „Sofortige Hinrichtung. Ich müsste euch auf der Stelle erschießen."

Ich bemühe mich, ein Schulterzucken zu unterdrücken.

„Wie alt seid ihr?", blafft er.

„Sechzehn."

„Und welche Einheit?"

Ohne eine Antwort abzuwarten, nimmt er die Hundemarke, die auf meiner Brust hängt und überprüft die Aufschrift.

„Unsere Kompanie ... wurde zerrieben", bringt Wilhelm mühsam hervor, als ein anderer der Kettenhunde auch sein Blechschild inspiziert. „Die Russen ... es gab einen Sturmangriff mit Panzern und Infanterie. Wir —„

„Und ihr habt lieber die Beine in die Hand genommen und seid getürmt, statt zu kämpfen?", fällt der Obergrefreite ihm ins Wort. „Und habt eure kostbare Munition hier verpulvert statt im Kampfgeschehen?"

Toller Versuch, Wilhelm, denke ich distanziert.

„Los, mitkommen!" Auf einmal reißt uns der Obergefreite an jeweils einem Arm nach vorne.

„Erschießen wir sie nicht gleich hier?", will einer seiner Handlanger wissen, ein ziemlich fies aussehender kleiner Mann mit flacher Stirn. „Stehen doch schon so schön an einer Grube." Er grinst mit schiefen Zähnen.

„Die beiden werden erst dem Major vorgeführt", brummt der Obergefreite.

„Warum —?"

„Weil sie minderjährig sind. Stellen Sie meine Befehle in Frage, Gefreiter?", fährt der oberste Kettenhund ihn an.

Ich habe selbst keine Ahnung, was das plötzlich soll. Die Feldgendarmerie hat eindeutig das Recht, Fahnenflüchtige überall und auf der Stelle selbst zu erschießen — Standgericht. Ohne Konsequenzen.

Doch die Frage erlischt in meinem Geist so rasch, wie sie aufgeflackert ist, und ich verfalle wieder in meinen distanzierten Stumpfsinn, der den Schmerz von mir fernhält. Sollen sie mit uns machen, was sie wollen.

Wir stolpern, von den drei Gendarmen getrieben, übers Feld und auf ein Waldstück zu. Der Obergefreite schreitet weit aus, im strammen Soldatenschritt, und wir können kaum mithalten, so erschöpft sind wir von der Flucht und ... allem.

Am Ende dieses JahresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt