Kapitel 31

74 13 4
                                    

Die schmutzig-braunen Wassermassen der Elbe schieben sich rauschend und gurgelnd durch die überschwemmten Flussauen. Mein Spaten fährt in die harte Erde, lockert die oberste Schicht mit der Grasnarbe — altes braunes Gras vom Vorjahr — und wirft sie beiseite. Es geht viel leichter als das Schaufeln der Panzergräben im Winter, als der Boden gefroren war, und ist zugleich schwerer, weil wir jetzt hungrig und erschöpft sind, während wir damals noch gut gefüttert und relativ ausgeruht waren.

Der Russe soll jetzt bei Dessau stehen, wo die Mulde in die Elbe fließt. Wir haben den Befehl bekommen, den russischen Vorstoß aufzuhalten, deshalb heben wir Schützengräben entlang des Elbufers aus.

Neben mir schaufeln Gerhard und Wilhelm und die anderen Soldaten unserer Kompanie, eine lange Reihe von schweigenden Gestalten in Feldgrau, die wie im Takt ihre Spaten schwingen ... eine groteske tonlose Symphonie.

Wir stampfen mit unseren Stiefeln die Erde fest, so gut es geht. Zusätzlich errichten wir über dem Rand des Grabens zur Flussseite hin eine provisorische Befestigung aus Sandsäcken und Erdwällen. Dicht neben uns, im Graben, wird ein Maschinengewehr in Stellung gebracht und die Munition in den langen Patronenstreifen daneben aufgestapelt.

Ich breite meine Zeltplane auf dem Boden des Schützengrabens aus, um nicht auf der kalten Erde zu sitzen, und lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand. Gerhard lässt sich neben mir nieder, die langen Beine angezogen, weil er sie in dem engen Graben sowieso nicht ausstrecken könnte. Er schlingt seine Arme um die Knie und versucht, mit dem Kopf darauf eine komfortable Position für die Nacht zu finden, die vor uns liegt. Eine weitere Nacht im Freien, auf dem feucht-kalten Boden, mit einem Loch im Magen. Und mit der Ungewissheit, ob und wann der Angriff der Russen erfolgt.

Aus Langeweile und um meinen Hunger zu vergessen, lade und entlade ich das Gewehr ein paar Mal. Dabei fällt mir der Dreck unter meinen Fingernägeln auf. Meine Uniform starrt vor Schmutz, die Stiefel sind von fest gewordenem Schlamm verklumpt. Den Geruch, den wir ungewaschenen Gestalten abgeben, nehme ich schon längst nicht mehr wahr. Wenn Luise mich so sehen würde ... Oder Mutter. Vermutlich würden sie mich nicht wiedererkennen.

Die feuchte Kälte kriecht trotz der Unterlage durch meinen Hosenboden in meinen ganzen Körper. Ich fröstele. „Jetzt ein heißes Bad ...", murmele ich.

Gerhard hebt den Kopf und seine müden Augen leuchten ein wenig auf. „Und ein Tisch mit frischen Brötchen, und Käse, und Schinken ..." Seine Augen werden glasig. „Wie können die von uns erwarten, dass wir auf leeren Magen kämpfen ..."

„Du glaubst doch nicht im Ernst, Junge, dass du zum Kämpfen kommst" mischt sich ein älterer Landser ein, der vorm Maschinengewehr hockt.

„Wieso? Glauben Sie, die Russen kommen gar nicht?", frage ich hoffnungsvoll.

Der Mann schnaubt. Er ist genauso schmutzig wie wir alle. Ein grauer Stoppelbart hat sich auf seinem Kinn gebildet und unter seiner Schirmkappe lugen deutlich abstehende Ohren hervor.

„Nee, die kommen, mach dich man drauf gefasst, Junge", sagt er mit starkem Berliner Akzent. „Aber zum Kämpfen wird nicht viel Zeit bleiben. Eher zum sterben." Er spuckt aus, seine Stimme klingt verächtlich, als könnte ihn der Tod mal.

Ich wechsle einen Blick mit Gerhard. Wilhelm, der leider auch wieder in unserer Nähe hockt, fährt auf.

„Das ist Wehrmachtszersetzung. Dafür können Sie erschossen werden."

Der Landser wirft ihm einen gelassenen Blick aus seinen tief sitzenden blauen Augen zu. „Man janz ruhig, Bürschchen. Die werden einen alten Landser wie mich nicht mehr erschießen. Da sind die Patronen zu schade für."

Am Ende dieses JahresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt