Kapitel 12

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Und wieder einmal stand ich vor dem Spiegel und betrachtete meinen Körper. Hastig band ich meine Haare noch zu einem hohen Zopf und begutachtete das Endergebnis. Tja... wie immer würde ich sagen. Ich verstehe nicht, was mich jedes mal daran hindert, selbstbewusst aus der Umkleide zu gehen. Mir ist doch scheiß egal was andere von mir halten.

'Evin gehört aber nicht zu den anderen.'

Meine innere Stimme labert schon wieder Schrott... ich glaube auch nicht, dass sie irgendwann mal was sinnvolles sagen wird. Während ich noch mein Zopf festzog, trat ich in die Schwimmhalle. Die Schüler saßen wieder in einer Reihe und unterhielten sich aufgeregt. Der Lehrer war noch nirgends zu sehen, also setzte ich mich schnell zu den anderen. Ein paar schauten kurz zu mir rüber, wandten sich aber danach wieder ihren Freunden zu. Das klingt jetzt bestimmt so, als wär ich voll die Außenseiterin. Nur um eins klar zu stellen: Die meisten Leute in diesem Kurs, sind in einer anderen Klasse. Ich kenne sie kaum! Außer natürlich Evin und seine Kumpels, aber für die interessiere ich mich auch herzlich wenig. Eine Stimme brachte mich wieder aus der Abwesenheit. "So Jungs und Mädels, heute werde ich euch die ersten Schritte erklären, um einen Menschen vor dem ertrinken zu retten. Ich verlange, dass ihr aufmerksam zuhört." Er ging an unserer Bank hin und her. Seine Hände hielt er dabei auf dem Rücken.

'Sind wir beim Militär oder was?'

"Nein sind wir nicht, aber wenn sie so behandelt werden wollen, kann ich es versuchen Frau Räthe." Fuck... ich hab doch nicht etwa gerade meine Gedanken laut ausgesprochen?! Das ist mir noch nie passiert! Oder... ich hab es einfach nie bemerkt. Oh nein... mein Leben hat kein Sinn mehr. Kann mir jemand bitte ein Strick geben? Nein, ich übertreibe nicht! Diesmal nicht. Stellt euch vor, ich habe meine Gedanken laut ausgesprochen als ich Evin heiß fand! Gut, das finde ich jetzt noch immer aber... das spielt gerade keine Rolle. Oh wartet, ich sollte Herrn Kugler lieber antworten oder? "Ähm nein, tut mir leid. So war das nicht gemeint." Ohne etwas zu sagen ging er weiter. Typisch Lehrer, verlangen eine Antwort, geben aber selbst keine. Mit etwas röte im Gesicht hört ich ihm wieder zu. "Ich brauche 2 Personen, die mir dabei behilflich sein können." Sofort streckten sich die Hände meiner tapferen Kameraden in die Höhe. Er verengte seine Augen und schien angespannt nachzudenken. Außerhalb des Unterrichts ist er eigentlich ziemlich cool drauf, aber jetzt... er war früher bestimmt ein Leutnant. Seine penetrante Stimme unterstrich das ganze noch deutlich. Während ich wieder in meiner Traumwelt war und mir Herr Kugler in einer Uniform vorstellte, hörte ich meinen Namen. Ich schaute um mich und sah in die vielen Augen, die auf mich gerichtet waren.

'Was denn, hab ich wieder laut gedacht?!'

Doch der erwartungsvolle Blick des Lehrers schien wohl etwas anderes zu wollen. Evin stand bereits neben ihm, also ging ich zögernd ebenfalls zu ihm. Ich hatte keine Ahnung was das werden sollte. "Da ihr ja schon jede Woche zusammen schwimmen geht, seid ihr das perfekte Team dafür. Frau Räthe sie werden eine ertrinkende Person nachstellen. Herr Shavan, ich weiß das sie bereits das Rettungsschwimmer Abzeichen haben, deshalb werden sie diese Rolle übernehmen." Habe ich es euch nicht von Anfang an gesagt? Ich werde die Person sein, die alle retten müssen. Seid ehrlich, das war doch klar. Aber das ich mich jetzt auch noch von Evin retten lassen muss?! Dann muss ich es ihm halt schwer machen... ich ging also ins Wasser und schwamm in die Mitte des Beckens. Fragend blickte ich in die Gesichter des arroganten, grinsenden Arschloch's und des sadistischen Lehrers. "Sie müssen auch so tun, als würden sie ertrinken!" Augenrollend, hörte ich auf ihn und begann mit meinen Armen hilflos zu paddeln. Dabei verschwand ich immer wieder unter die Wasseroberfläche, was ziemlich einfach war denn ich konnte in diesem Becken nicht stehen. Ich hörte einen dumpfen Aufprall und sah bereits Evin auf mich zuschwimmen. "Wenn ihr jemanden rettet, müsst ihr aufpassen, dass derjenige euch nicht auch nach unten zieht. Es kann sein, dass er um sich schlägt."

'Um sich schlagen? Oh mit Vergnügen.'

Ich zappelte so gut ich konnte und ließ mich nicht von diesem Perversling anfassen. Auch wenn er es bei der Nachhilfe schon oft getan hat, muss er es hier nicht auch machen. Zum Glück wagte er sich nicht, seine Hände an den Stellen zu legen, die uns unterschieden. Wenn ihr versteht was ich meine. Denn das hätte ich ganz sicher nicht durchgehen lassen. Plötzlich konnte ich mich nicht mehr bewegen. Meine Arme wurden durch seine festgehalten und jeder meiner Versuche, mich zu befreien, waren erfolglos. Er schwamm mit mir zum Beckenrand und legte mich auf den kalten, nassen Boden. Einen großen Unterschied machte das zwar nicht, weil wir beide durchtränkt waren, aber kalt war er trotzdem. Herr Kugler meinte danach, dass wir die Reanimation erst in den nächsten Stunden lernten. Gut so, von Evin hätte ich mich ganz sicher nicht "wiederbeleben" lassen. Als ich aufstehen wollte, reichte mir dieser seine Hand und ich nahm sie dankend entgegen. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich an seinen Körper drückte. Ich hörte seinen ruhigen Herzschlag, konnte mich kaum bewegen und wollte mich abstoßen. Doch er hielt mich fest, ich war zu perplex um zu reagieren. Sein warmer Atem sendete auf meiner kalten Haut kleine Signale, die direkt zu meinem Herzen führten. Ich spürte wie mein Puls sich beschleunigte und eine raue Stimme drang in mein Ohr. "Schade, ich hätte die Mund-zu-Mund Beatmung noch gerne durchgeführt."

"Nur in deinen Träumen!" Ich wollte grade einen nächsten Versuch starten, mich loszureißen, doch er nahm bereits seine Hände von meinen Schultern. Da! Da war es wieder. Ich konnte meine Augen kaum abwenden. Evin erleichterte es mir, indem er mir den Rücken zuwand. Mein Herz schlug noch immer, während sich das Bild in meinem Kopf eingravierte.

Dieses echte, ungezwungene Lächeln.

Danach zeigte er mir natürlich nur noch herzlich wenig Aufmerksamkeit. Aber es war um ehrlich zu sein besser so, wär ja seltsam, wenn er mich nett behandeln würde. Zum Glück ging die Stunde dadurch auch schnell vorbei.
Als ich Zuhause ankam ließ ich mich auf's Bett fallen und atmete tief ein. Wie ein Stein lag ich dort und wollte mich kein bisschen bewegen. So ausgepowert war ich lange nicht mehr. Mit letzter Kraft krabbelte ich zu meiner Fernbedienung und schaltete die Anlage an. Ich ließ mich wieder sacken und rollte mich in meiner Bettdecke ein, was sicher ziemlich deprimiert aussehen musste. Aber das war mir sowas von egal, es war gemütlich und ich landete schnell in meiner Traumwelt, wo bereits jede Menge unlogische Sachen auf mich warteten.

Am nächsten Morgen wurde ich nicht von meinem nervtötenden Wecker aus meinem Schlaf gerissen, nein, es war eine hohe Stimme. Eine weibliche Stimme, die mich quälen möchte. Ich öffnete einen Spalt weit meine Augen und musterte die Person vor mir. Durchschnittliche Figur, dunkelblonde Haare, klein... meine Mum. Wer auch sonst. "Layla, es ist 7 Uhr, wenn du nicht sofort aufstehst kommst du zu spät!"

'7 Uhr? Das kann nicht sein, mein Handy hätte klingeln müssen...'

Wie in Zeitlupe tastete ich mit geschlossenen Augen mein Bett entlang. Irgendwo muss dieses Ding doch liegen. Nach einer gefühlten Ewigkeit fühlte ich es unter meiner Hand und ich schaute auf den hellen, augenverbrennenden Bildschirm. 7:01 Uhr... so weit ist es schon mit mir, dass ich nicht mal mehr mein Handy höre. So schnell ich konnte stand ich auf, zog mich an und ging ins Bad. Auf Kontaktlinsen hatte ich heute keine Lust, dann müssen die Leute mich halt mit Brille ertragen. Doch irgendwas stimmte heute nicht. Ob es das ziehen im Bauch war oder das Gefühl irgendwas vergessen zu haben. Ich tapste weiter ins Wohnzimmer, wo Mum genüsslich ihren Kaffee trank und irgendeine Serie schaute. Sie bemerkte mich erst als ich mich neben ihr aufs Sofa setzte. "Musst du nicht zur Arbeit Mama?"

"Ich hab' mir heute freigenommen." Ruckartig stand ich auf und flitzte wieder in mein Zimmer. Mist, jetzt weiß ich was ich vergessen habe! Ich schnappte mir Mums Bücher und ging wieder ins Wohnzimmer. Dort schlang ich erstmal meine Arme um sie. "Alles gute zum Geburtstag Mama! Ich- liebe- dich-" Letzteres sagte ich zwischen Küssen, die ich ihr jeweils auf die Stirn und eine auf beiden Seiten ihrer Wangen gab. Dabei kniff sie ihre Augen zusammen und musste lachen. "Du bist doch verrückt."

"Das habe ich doch von meiner wundervollen Mutter." Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute sie mich an. "Rutsch nicht auf deine Schleimspur aus." Ich streckte ihr nur die Zunge raus und überreichte ihr die 2 Geschenke. Ich hatte ihr noch ein Kochbuch für Anfänger geschenkt, worüber sie nur lachend den Kopf schüttelte. Über den Thriller hat sie sich auch sehr gefreut, morgen auf der Grillparty kann also nur alles gut werden.

It's complicated | #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt